Dr. med. Güzin Surat

Oberärztin in der Zentralen Einrichtung für Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship (AMS), Leiterin der AMS am UKW und des Netzwerks AMS-MAN

Ich bin in Köln geboren und aufgewachsen, habe in Frankfurt am Main Humanmedizin studiert und bin nach einigen Aufenthalten im Ausland über Tübingen im Jahr 2015 ans Uniklinikum Würzburg gekommen, um hier AMS aufzubauen.

Von der Hauptschule zur Habilitation

Ich bin nicht die klassische Akademikerin, mein Lebenslauf ist sehr unkonventionell. Mein Vater war in Köln bei Ford Nachtschichtarbeiter, meine Mutter hat in einer Kabelfabrik gearbeitet, beide Vollzeit. Vor allem für meinen Vater war immer klar, dass meine Schwester und ich Medizin studieren. Tatsächlich ist meine Schwester heute Psychiaterin, während ich mich, geprägt von meinem freiwilligen sozialen Jahr (FSJ), für die internistische Laufbahn entschieden habe. Ich hatte furchtbare Noten in der Grundschule. In der Hauptschule habe ich dann nach rechts und links geguckt, und mir gesagt, hier gehöre ich nicht hin. Über die Aufbau-Realschule ging es aufs Gymnasium. Nach dem Abitur überbrückte ich die Wartesemester fürs Medizinstudium mit dem FSJ in der hämatologischen / onkologischen Ambulanz im Klinikum Leverkusen. Nach der Hälfte meiner internistischen Ausbildung zog es mich ins Ausland: Ich war ein Jahr in der Schweiz, knapp vier Jahre in Großbritannien, wo ich die internistische Ausbildung abschloss und mit Mikrobiologie und Infektiologie begann. In Burkino Faso bildete ich mich in Tropenmedizin weiter, welches ich am Uniklinikum Tübingen beendete. Mitte 2015 kam ich nach Würzburg, und wurde 2017 vom damaligen Ärztlichen Direktor Prof. Ertl zur Leitung der Arbeitsgruppe Antimicrobial Stewardship der Hygienekommission UKW benannt, mit nachfolgender Ernennung zur ersten Oberärztin in der damals als Stabsstelle bezeichneten Krankenhaushygiene, heute Zentrale Einrichtung für Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship.

Karriere als Frau mit Migrationshintergrund 

Ich höre häufig, dass ich in meinem Beruf und in meiner Position zu einer besonderen Gruppe gehöre – als Frau mit Migrationshintergrund, die tatsächlich auch 25 Jahre lang in der Öffentlichkeit ein Kopftuch getragen hat. Bereits im Alter von 14 Jahren entschlossen meine Schwester und ich uns mit zwei weiteren Freundinnen dazu, ein Kopftuch aufzusetzen. Ich durfte also in jungen Jahren schon erfahren, was es heißt als „anders“ angesehen zu werden, strebte aber immer danach als Individuum wahrgenommen und nicht auf ein Stück Stoff reduziert zu werden. Dennoch hat die Entscheidung ein Kopftuch in Deutschland aufzusetzen mein Leben geprägt. Es waren zwar Wege versperrt, aber die Erfahrung aus den Benachteiligungen im Studium oder in der Auswahl der Stellen, änderten nichts daran, trotzdem meinen eigenen Weg zu finden, auch wenn ich dafür mehr Abzweigungen und längere Wege hinnehmen musste. Letztendlich haben mich diese Erfahrungen aber nur weitergebracht.

Die Probleme mit der Chancengleichheit

Wenn ich die Gleichstellungsproblematik an meinem Leben festmache, kann ich sagen, dass ich mich dadurch nie habe beirren lassen. Da wird eine voreingenommene Einstellung über Jahrzehnte, von Generation zu Generation weitergegeben. Es ist sogar vergleichbar mit der Verordnungspraxis von Antibiotika. Die alten Denkmuster sind einfach noch in den Köpfen drin. Wenn ich Meetings einberief, wurde mir von einigen Kollegen auch empfohlen: nimm doch lieber einen Mann mit. Frauen wird seltener eine Chance gegeben, weil man ihnen weniger zutrauen möchte. Ich glaube auch, dass (starke) Frauen Männern Angst machen.

Was ich Frauen rate 

Es gibt keinen Grund sich hintern Männern zu verstecken. Frauen können alles genauso gut erreichen. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau sollten kein Hindernis darstellen, sondern eine Chance andere Perspektiven kennenzulernen und Vorteile gemeinsam zu nutzen. Ich verstehe nicht, warum es Mann oder Frau heißen muss. Diskussionen um Emanzipation und Chancengleichheit sollten nicht lähmen oder Stigmata verstärken. 
 

Horizonte erweitern

Privat möchte ich mehr Länder bereisen und mehr Sprachen lernen. Vorurteilen sollten wir durch Aufgeschlossenheit und Toleranz begegnen. Und die Beherrschung von Sprachen vereinfacht Begegnungen. Ich habe mein Kopftuch abgenommen, um mich neu zu definieren und erachte Veränderungen als spannende Bereicherung und hilfreich im Umgang mit mir und damit anderen. 
Beruflich bin ich mit der AMS noch nicht am Ende. Wir haben viel bewirkt und es geht immer weiter. 

Drei Wünsche für die Zukunft

Ich hoffe gesund bleiben zu können, möchte von Menschen umgeben sein, die es immer ehrlich meinen und authentisch sind, und will die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir Menschen trotz aller Unterschiede, ob in der Herkunft, Kultur oder Religion, tolerant miteinander in Frieden leben können. 

Die Bedeutung von Antimicrobial Stewardship (im wörtlichen Sinn)

Die Stewardship, wörtlich übersetzt Verwaltung, verkörpert heute eine proaktive verantwortungsvolle Planung und Verwaltung von Ressourcen. In meinem Bereich geht es um Antiinfektiva, also Medikamente, die in der Prophylaxe und Therapie von Infektionen eingesetzt werden, welche von Bakterien, Viren, Pilzen oder Parasiten hervorgerufen werden können. Ziel ist es die Verschreibungspraxis zu optimieren, um so Resistenzen einzudämmen und Antiinfektiva in ihrer Wirkung für Patientinnen und Patienten zu erhalten. Auch hier geht es nicht ohne eine koordinierte, interdisziplinäre Strategie, daher legen wir sehr viel Wert auf eine intensive und kollegiale Zusammenarbeit mit den infektionsmedizinischen Bereichen Hygiene, Infektiologie, Mikrobiologie, Virologie und der Apotheke. 

Analyse nach dem IDDDD-Prinzip – Drug, Dosierung, Dauer und Deeskalation 

Im Antimicrobial Stewardship analysieren wir die Verordnungspraxis nach dem IDDDD-Prinzip. Wir besprechen die Indikation, klären die Substanzwahl (drug), prüfen die Dosierung, die Dauer und Deeskalationsmöglichkeiten, zum Beispiel von Breitband-Antibiotika auf Schmalspektrum-Antibiotika oder von intravenöser Verordnung auf eine Oralisierung. Die Nähe zu den Klinikerinnen und Klinikern ist uns wichtig, daher sind wir regelmäßig auf den Stationen, um auch so besser die individuelle oder bereichsbezogene Verschreibungskultur kennenlernen zu können. 

Die Bedeutung von Antimicrobial Stewardship für die Patientinnen und Patienten

Zunächst einmal möchten wir die Patientinnen und Patienten bestmöglich behandeln, indem wir Infektionen gezielt bekämpfen und dabei so wenige Nebenwirkungen wie möglich hervorrufen. Gleichzeitig wollen wir mit unserem AMS-Programm verhindern, dass Selektionsprozesse und Resistenzen bei Erregern auftreten und den zunehmenden Wirkungsverlust von Antiinfektiva aufhalten. In der Humanmedizin ist die ungünstige Verschreibungspraxis der Haupttrigger für steigende Resistenzen. Hier arbeiten wir an einer Verhaltensänderung und setzen uns über die Umsetzung von evidenzbasierter Medizin für einen rationalen und verantwortungsvollen Einsatz von z.B. Antibiotika ein. Das heißt, wir sind auf allen Intensivstationen und peripheren Stationen am UKW und besprechen im Jahr ca. 7000-8000 Patientinnen und Patienten. Hinzu kommen die AMS-Visiten in der Kinderklinik, die zwei Kollegen jeweils aus der Pädiatrie und Mikrobiologie übernehmen. Wir sehen ein sehr breites Spektrum an Infektionserkrankungen und können gemeinsam mit den betreuenden Kolleginnen und Kollegen optimal die Patientinnen und Patienten mitbetreuen. 

Unsere Interventionen haben Erfolg

Seitdem Aufbau der AMS steht das UKW im deutschlandweiten Vergleich mit anderen deutschen Uniklinika an der Spitze. Wir haben den niedrigsten Verbrauch an Antibiotika. Durch unsere AMS-Maßnahmen ging zum Beispiel am UKW der Verbrauch von Cephalosporinen der dritten Generation, einem Breitband-Antibiotikum mit ungünstigem Resistenzmechanismus, deutlich zurück. Wir konnten auch den Verbrauch an Reserveantibiotika senken. Denn ein Reserveantibiotikum soll auch eine Reserve bleiben und kein Standard werden. Wir haben mehr als 20 Standards zum Einsatz von Antiinfektiva entwickelt, auf die über unsere neu geschaffene Antiinfektiva-App, eine digitale Antibiotika-Fibel, schnell zugegriffen werden kann. 
Wir haben unsere Maßnahmen zum Beispiel in der Allgemeinchirurgie überprüft. Und wir konnten belegen, dass die signifikante Reduktion des Antibiotika-Verbrauchs keinen negativen Einfluss auf das Behandlungsergebnis der Patientin oder des Patienten hatte.

„Ich leite ein kleines Unternehmen“

Um die regionalen Resistenzen besser kontrollieren zu können und Therapiestandards zu harmonisieren, haben wir im November 2020 das Kliniknetzwerk Main-Franken AMS-MAN gegründet, in dem wir derzeit (Stand Oktober 2023) fünf weitere Kliniken in der Umgebung betreuen, dort vor Ort visitieren, gemeinsam mit ihnen Konzepte entwickeln und Fortbildungen anbieten. Inzwischen sind wir in Kooperation mit der Klinik Kitzinger Land, der Main-Klinik Ochsenfurt, dem Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt, dem König-Ludwig-Haus Würzburg und den Haßberg-Kliniken in Haßfurt. Das heißt: Wir sind im regelmäßigen Austausch mit den jeweiligen Vorständen und den entsprechenden mikrobiologischen Laboranbietern, können den Kliniken den Zugang zur Antiinfektiva-App anbieten und sind dabei unser Therapeutic Drug Monitoring (TDM) auf die Netzwerkpartner auszuweiten.