Anne Saulin

AG Translationale soziale Neurowissenschaften an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie

Ich bin Anne Saulin, geboren 1989 in Halle (Saale), aufgewachsen im schönen Lipperland in Lemgo. An der Universität Tübingen und der Yale University in New Haven (USA) habe ich Psychologie und Physik studiert, in Bern und Greifswald war ich wissenschaftlich tätig und seit Frühjahr 2018 forsche ich am Uniklinikum Würzburg zu Motivationen für prosoziales Verhalten mit dem Fokus Empathie. Ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder. 

Was ich als Kind werden wollte 

Archäologin, Tierärztin und „Psychopathin“. Ich wollte eigentlich wie meine Mutter Psychotherapeutin werden, doch mir war als Kind der Unterschied zwischen Psychopathin und Psychotherapeutin nicht so klar, daher habe ich mich immer gewundert, wenn die Leute über meinen Berufswunsch gelacht haben. 

Wie ich zur Medizin und zum jetzigen Forschungsgebiet kam

Nach dem Abitur habe ich mit Medizin geliebäugelt, aber ich bin alles andere als ein früher Vogel und ziehe meinen Hut vor allen Medizinerinnen und Medizinern, die täglich Übermenschliches leisten. Letztendlich habe ich Psychologie und Physik studiert – eine super Kombination, wodurch ich methodisch sehr breit aufgestellt bin. In der Psychologie hat mich früh die biologische Psychologie interessiert, wo es um den Zusammenhang von kognitiven und körperlichen Prozessen geht, zum Beispiel Gehirnaktivierung, Hautleitfähigkeit oder Herzrate. Während meines Auslandsaufenthalts in den USA habe ich begonnen, mich mit Perspektivübernahme zu beschäftigen. In meiner Diplomarbeit habe ich untersucht, ob sich Gehirnströme in der so genannten Elektroencephalographie verändern, je nachdem in welchem Kontext wir neutrale Gesichter als vertrauenswürdig einschätzen. Durch meine Arbeit in Bern und meine Doktormutter, Professorin Grit Hein, bin ich auf die Forschung im Bereich prosoziales Verhalten und deren motivationale Grundlagen gestoßen. Das Feld ist extrem spannend und sehr interdisziplinär, was mir Freude bereitet.

Mein Arbeitsschwerpunkt

Ich forsche zu Motivationen für prosoziales Verhalten mit dem Fokus Empathie, also anderen Menschen helfen basierend auf dem Wunsch, dass es der anderen Person bessergeht. Ich schaue mir zum einen die Verhaltensmaße wie Entscheidungen und Antwortzeiten an, zum anderen prüfe ich neuronale Maße mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie. Für die Analyse der Daten verwende ich mathematische Modelle, die Aufschluss geben über die Prozesse, die dem prosozialen Verhalten basierend auf unterschiedlichen Motivationen zu Grunde liegen. So lassen sich die unterschiedlichen Anteile im Entscheidungsprozess analysieren. Dies gibt Aufschluss darüber, ob zum Beispiel die Aktivierung von Empathie die generelle Entscheidungstendenz in Richtung der prosozialen Entscheidungsoption verschiebt oder ob der Prozess des Treffens einer prosozialen Entscheidung an sich erleichtert wird und effizienter ablaufen kann, vergleichbar mit einem Computerupdate, das dafür sorgt, dass der Computer schneller läuft. Interessanterweise haben wir beobachtet, dass unterschiedlichen Anteile des Entscheidungsprozesses auch mit spezifischer Aktivierung in unterschiedlichen Gehirnregionen einhergehen.
 

Wie ich nach Würzburg gekommen bin

Als meine Doktormutter Grit Hein den Ruf der Universität Würzburg erhielt folgte ich ihr mit meinem Mann und unserer großen Tochter, die damals noch ein Baby war. Ich habe es nicht bereut. Es ist sehr spannend, die Verknüpfung von Grundlagenforschung und klinischer Anwendung mitzuerleben. Zudem ist die Stadt super, auch mit Kindern. Die kurzen Wege ermöglichen es uns, mit dem Fahrrad schnell überall zu sein, sodass wir kein Auto benötigen. Die KiTa ist in Laufweite und mein Mann hat noch am Umzugswochenende einen Job gefunden. Die Stadt hat uns sozusagen mit offenen Armen empfangen und wir fühlen uns hier sehr wohl.

Was mich motiviert

Mich motiviert es, durch meine Forschung, mehr über die Verhaltensweisen des Menschen herauszufinden, in der Hoffnung mit diesem Wissen prosoziales Verhalten zu fördern. Ich bin der Ansicht, dass der Mensch an sich prosozial ist, dem prosozialen Verhalten dann aber bestimmte Mechanismen und Hürden im Weg stehen. Wenn meine Forschung dazu beitragen kann, diese Hürden zu beseitigen, wäre das toll.

Allgemein begeistert mich an der Forschung - zumindest in meinem Fachbereich - die gegenseitige Unterstützung. In vielen Forschungsgebieten herrscht das Konkurrenzdenken noch vor, aber ich hoffe, dass sich der Gedanke weiter durchsetzen wird, dass es um Inhalte geht und nicht um Erfolge einzelner Personen. Covid hat gezeigt, wieviel möglich ist, wenn mehrere Labors zusammenarbeiten.

Wodurch ich unterstützt wurde

Mentorinnen und Mentoren sowie Vernetzungsmöglichkeiten sind ungemein wichtig. Ich hatte das Glück, dass meine Doktorarbeit primär von einer Frau betreut wurde, die selbst Kinder hat und wusste, wie wichtig flexibles Arbeiten ist. Durch tolle Unterstützung habe ich es geschafft, die erste sehr aufwendige Studie meines Promotionsprojektes vor Entbindung zu erheben. Außerdem wurde meine Promotion von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert, sodass ich finanziell unabhängig war und Zugang zu einem großen Netzwerk hatte und habe. Unter anderem war es sehr hilfreich, sich mit anderen promovierenden Eltern zu vernetzen und auszutauschen. Auch die Universität Würzburg bietet tolle und niederschwellige Programme und Workshops für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Ich habe zum Beispiel an Kursen zum neuen Diversity³ Zertifikat teilgenommen und so tolle Menschen hier in Würzburg kennengerlernt. Und schließlich unterstützen mein Mann und ich uns gegenseitig, wir arbeiten beide 80 Prozent, können flexibel arbeiten und teilen uns die Betreuungszeit der Kinder.

 

Warum es Frauen schwerer haben in der Wissenschaft als Männer

Es gibt viele Programme und Ansätze, Chancengleichheit voranzubringen, aber der Weg ist noch lang. Frauen sind nach wie vor in leitenden Positionen unterrepräsentiert. Im alltäglichen Arbeiten ist es weiterhin so, dass Frauen häufiger unterstützende Arbeiten übernehmen beziehungsweise übernehmen sollen und Männer die prestigeträchtigeren Aufgaben. Viele Männer - und auch Frauen - sind zudem nicht hinreichend sensibilisiert für die allgegenwärtigen diskriminierenden Verhaltensweisen, die sich meist auf unbewusster Ebene abspielen, zum Beispiel wird eine Frau im Redebeitrag häufiger unterbrochen als ein Mann. Die Ungleichheit spitzt sich meist zu, wenn Kinder ins Spiel kommen, vom Mann wird erwartet, dass er weiter voll arbeitet, von der Frau, dass sie zuhause bleibt und maximal in Teilzeit tätig ist. 

Was sich ändern muss

Es wird oft suggeriert, dass das Modell „Mama-bleibt-daheim-Papa-arbeitet“ der einzige Weg sei. Zudem heißt es, man dürfe nicht in der Forschung nicht zu lang raus sein. In meinen Augen ist beides absolut falsch. Je nach Länge der Elternzeit kann organisiert werden, wie die Projekte weiterlaufen oder ruhen können bis die Forscherin oder der Forscher wieder da ist. Es gibt spannende Studien, die zeigen, dass das weibliche Gehirn, und in geringerem Maße auch das männliche, im Rahmen der Elternschaft eine faszinierende Transformation durchläuft. Mit einigem Abstand nach der Geburt haben Frauen quasi ein „Superhirn“. Das ist doch für die Forschung genau richtig!

Mein Tipp…

… für forschende Frauen:
Arbeitet mit Menschen zusammen, die euch fördern und vernetzt euch. Die Website und Mitarbeitenden der Frauenbeauftragten der Universität sind eine tolle Anlaufstelle dafür:  

… für Männer:
Brecht aus alten Mustern! Diese sind meist unbewusst, aber versucht euch der Muster bewusst zu werden und sich anders zu verhalten. Wenn es an die Elternzeit geht: Nehmt Euch die Zeit. Je mehr Männer und Frauen zeigen, dass es gleichverteilt geht, desto besser. Mein Mann und ich haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht.

Was mich besonders geprägt hat

In frühen Jahren haben mich meine Mutter und meine Großeltern besonders geprägt. Meine Familie stammt aus der ehemaligen DDR. Da meine Großeltern sich einer Mitgliedschaft in der Partei verweigerten, meine Mutter jedoch Medizin studieren wollte, musste sie besonders gute Leistungen bringen. Diesen Ehrgeiz hat sie an mich weitergegeben. Ein gutes Gegengewicht bildete mein Stiefvater, der mir gezeigt hat, dass man auch mit Gelassenheit erfolgreich sein kann. Diese Balance hat mir bisher gut geholfen. Fachlich hat mich mein Studium geprägt. Insbesondere durch die Physik habe ich strukturiertes Denken eingeübt, was in der Forschung zweifelsohne sehr wichtig ist.

Die Geburten meiner zwei Kinder sind ebenfalls einschneidende Erlebnisse gewesen, die meine Perspektive auf das Leben verändern und bereichern. Ein Zugewinn, der mich auch in der Forschung offener gemacht hat.

Was ich mir wünsche

Dass sich alle gegenseitig mit Respekt begegnen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion etc. Zudem wünsche ich mir, nach meiner Promotion weiter forschen zu können irgendwann in meiner eigenen Arbeitsgruppe gesellschaftliche relevante Forschung zu betreiben, die mich methodisch herausfordert.