Neue Wege im Kampf gegen das Übergewicht
Die „Abnehmspritze“ gilt als wertvolle Therapieoption bei Adipositas und Diabetes. Doch sind die Substanzen auch für Menschen geeignet, die nur ein paar Kilo zum Traumgewicht verlieren wollen?
Prof. Dr. Martin Fassnacht
Leiter Lehrstuhl Endokrinologie und Diabetologie
Dr. Ann-Cathrin Koschker
Co-Leiterin Adipositaszentrum
Ein Mittel, mit dem die Pfunde purzeln. Mit diesem Versprechen sorgt die sogenannte Abnehmspritze seit Monaten für Aufsehen. Nicht zu Unrecht: Wissenschaftliche Studien bestätigen den Gewichtsverlust. Der Wirkstoff heißt Semaglutid. Zunächst wurde er unter der Medikamentenbezeichnung Ozempic zur Behandlung bei Diabetes Typ 2 angewandt. Seit 2023 ist er unter dem Handelsnamen Wegovy auch für die Adipositas-Therapie erhältlich.
„Der noch effektivere Wirkstoff zur Gewichtsreduktion ist aber Tirzepatid“, sagt Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik Würzburg. Seit Anfang 2024 ist auch Tirzepatid unter dem Handelsnamen Mounjaro in Deutschland für Adipositas-Patientinnen und -Patienten verfügbar. Die Wirkstoffe erweitern auch am UKW die Behandlungsmöglichkeiten von Menschen mit starkem chronischem Übergewicht.
Semaglutid und Tirzepatid senken den Blutzuckerspiegel, weshalb sie erfolgreich in der Diabetes-Therapie angewandt werden. Außerdem verlangsamen sie die Entleerung des Magens und zügeln den Appetit, sodass sie Menschen mit Adipositas bei der Gewichtsreduktion unterstützen. „Eine Abnahme von 15 bis 20 Prozent des Ausgangsgewichts ist realistisch. Sie helfen nicht allen, aber in Summe sind die Substanzen absolut erfolgreich. Neuentwickelte Medikamente werden zum Teil noch effektiver sein“, erklärt der Experte. Frei verfügbar sind sie allerdings nicht. In der Adipositas-Therapie erhalten sie nur Menschen mit einem Body-Mass-Index über 30 oder über 27 bei Begleiterkrankungen – auf Privatrezept.
Hype sorgt für Lieferengpass
Dr. Ann-Cathrin Koschker, Co-Leiterin des Würzburger Adipositaszentrums, rät davon ab, sie aus ästhetischen Gründen oder bei geringem Übergewicht zu nutzen. „Das ist keine Beauty-Behandlung. Zu ihrem Einsatz gibt es eine klare Indikation.“ Wie bei jedem Medikament ist mit Nebenwirkungen zu rechnen. „Unsere Patientinnen und Patienten berichten häufig von Übelkeit, aber auch von Blähungen, Sodbrennen, Durchfall oder Verstopfungsneigung“, erklärt die Endokrinologin. Die Kosten muss die oder der Abnehmwillige selbst tragen, je nach Medikament und Dosierung zwischen 170 und 350 Euro pro Monat. Und das oft dauerhaft, denn wird die Spritze abgesetzt, droht der Jo-Jo-Effekt. Bewegung und eine gesunde Ernährung sollten die Therapie unbedingt ergänzen.
Insbesondere Ozempic ist für von Diabetes Betroffene aufgrund von Lieferengpässen aktuell oft nur schwer in Apotheken erhältlich. Auf dem Schwarzmarkt hingegen floriert das Geschäft. Ein weiterer Grund, weshalb Prof. Fassnacht den Einsatz bei geringem Übergewicht kritisch sieht: „Substanzen, die Erkrankte dringend benötigen, werden weggekauft. Das ist ein ethisches Problem.“