Köln / Würzburg. Bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen sind bestimmte Gehirnbereiche nicht ausreichend aktiv oder arbeiten nicht gut zusammen. Mit Neurostimulationen lässt sich die Gehirnaktivität jedoch gezielt beeinflussen. So können elektrische Impulse oder Magnetfelder bestimmte Gehirnregionen stimulieren und Fehlfunktionen im Gehirn, die bei Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Zwangserkrankungen auftreten, korrigieren. Während die Wirksamkeit von Neurostimulationen bei Erwachsenen gut belegt sind, gibt es bei Kindern und Jugendlichen noch keine Standards. Das will das neue wissenschaftliche Netzwerk „Klinische Neurostimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ ändern. Ziel des Netzwerks, an dem 17 Universitätsklinika beteiligt sind, ist die Etablierung einheitlicher Standards in Vorbereitung multizentrischer, konfirmatorischer Studien zur therapeutischen Wirksamkeit von Methoden der Neurostimulation bei Kindern- und Jugendlichen mit psychiatrischen Erkrankungen. Die DFG fördert das Netzwerk über eine Laufzeit von drei Jahren (Projektnummer: 545308387).
„Die nicht-invasiven Methoden der Neurostimulation bieten eine vielversprechende Möglichkeit, Behandlungen zu entwickeln, die basierend auf den neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen gezielt auf die zugrundeliegenden Ursachen der psychischen Erkrankungen eingehen. Für die dafür notwendige Forschung kann unser Netzwerk die notwendigen Rahmenbedingungen definieren. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit“, sagt Prof. Dr. Lorenz Deserno von der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Uniklinikums Würzburg (UKW).
Bestehende Vorurteile abbauen und die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Erkrankungen verbessern
Sprecher des Netzwerks ist Prof. Dr. Julian Koenig von der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. „Die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglicht uns die Entwicklung einheitlicher Standards im deutschsprachigen Raum, die insbesondere vor dem Hintergrund der bisher sehr heterogenen Evidenz, eine notwendige Voraussetzung für zukünftige Studien darstellt. Wir hoffen durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit die Bekanntheit der Verfahren zu steigern, bestehende Vorurteile abzubauen und letztlich zu einer Verbesserung der Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Erkrankungen beizutragen – insbesondere den Patientinnen und Patienten, die nicht oder nicht hinreichend auf bestehende therapeutische Angebote ansprechen“, erklärt Koenig.
Therapeutische Effektivität bei Erwachsenen sehr gut belegt, bei Kindern und Jugendlichen fehlen Behandlungsstandards
Methodisch beraten wird das Netzwerk durch Prof. Dr. Til Ole Bergmann, Universitätsprofessor für Neurostimulation an der Universitätsmedizin Mainz und Prof. Dr. Andreas J. Fallgatter, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen. „Ich freue mich sehr, dass die DFG dieses wichtige Wissenschaftliche Netzwerk fördert. Moderne Ansätze der personalisierten, nicht-invasiven Neurostimulation können die Aktivität von krankheitsrelevanten Hirnnetzwerken zeitlich und anatomisch gezielt modulieren, was bei einer medikamentösen Behandlung nicht der Fall ist. Diese Verfahren sind schmerzfrei, gut verträglich, und ihre therapeutische Effektivität bei Erwachsenen sehr gut belegt, zum Beispiel in der Behandlung von Depressionen. Bei Kindern und Jugendlichen fehlen jedoch noch die benötigten multizentrischen Studien und Behandlungsstandards, welche im Rahmen dieses Netzwerkes koordiniert werden können.“, so Til Ole Bergmann.
Andreas J. Fallgatter, der eine umfangreiche Expertise zu Verfahren der Neurostimulation bei Erwachsenen mit psychiatrischen Erkrankungen hat und die Infrastruktur „Neuromodulation“ innerhalb des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) koordiniert, um Methoden der Neuromodulation zu erforschen und weiterzuentwickeln, fügt hinzu: „Ich gratuliere Professor Koenig und den beteiligten wissenschaftlichen Einrichtungen zur Förderung dieses wichtigen Netzwerkes. Ich sehe gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie besonders große Möglichkeiten durch nebenwirkungsarme, neurostimulatorische Behandlungsverfahren das therapeutische Spektrum zu erweitern, in Ergänzung zur Psychotherapie und der durch Zulassungsbeschränkungen und Nebenwirkungen oft nur eingeschränkt möglichen Pharmakotherapie.“
Aus neurobiologischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte Transfer in innovative und effektive Therapieverfahren für Kinder und Jugendliche
Im Rahmen des Netzwerks ist eine virtuelle Fortbildungsreihe unter Beteiligung internationaler Expertinnen und Experten zu Themen der klinischen Neurostimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) geplant, die das Netzwerk unterstützt. Prof. Dr. Marcel Romanos, Präsident der DGKJP und Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKW kommentiert: „Ich freue mich sehr, dass mit der Förderung des neuen Netzwerks durch die DFG die Bedeutung von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter für die gesamtgesellschaftliche Gesundheit anerkannt wird. Das Netzwerk zur Neurostimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein wesentlicher Schritt, um aus den neurobiologischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte nun den Transfer in innovative und effektive Therapieverfahren für Kinder und Jugendliche zu leisten.“
Kooperationspartner
Im wissenschaftlichen Netzwerk „Klinische Neurostimulation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ arbeiten zusammen: Uniklinik RWTH Aachen; Universität Bern, Schweiz; Charité - Universitätsmedizin Berlin; Ruhr Universität Bochum; LVR-Universitätsklinik Essen; Universitätsklinikum Frankfurt; Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; Universitätsklinikum Heidelberg; Uniklinik Köln und Medizinische Fakultät der Universität zu Köln; Universitätsklinikum Leipzig; Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim; Universität Heidelberg; Medizinische Fakultät der Universität Magdeburg; Philipps-Universität Marburg und Universitätsklinikum Marburg (UKGM); LMU Klinikum München; Universitätsklinikum Regensburg; Universitätsmedizin Rostock; Universitätsklinikum Tübingen; Medizinische Universität Wien, Österreich; Universitätsklinikum Würzburg.