Ausgangspunkt ist der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2020 gestartete Wettbewerb für Soziale Innovationen „Gesellschaft der Ideen“. Seither wurden aus über 1.000 eingereichten Ideen in mehreren Schritten die neun überzeugendsten Projekte ausgewählt, die am 15. Dezember 2021 in eine bis zu zweijährige Erprobungsphase starten durften. Zu diesen zählt auch das Vorhaben ReliefVR. Dessen langfristiges Ziel ist es, ein medizinisches Produkt zu entwickeln, das Technologien der Virtuellen Realität (VR) dazu nutzt, neuronale Netzwerke im Gehirn so zu modifizieren, dass chronische Schmerzen möglichst dauerhaft gelindert werden.
Ideengeberin und Leiterin von ReliefVR ist Yevgenyia Nedilko von der Frankfurter Firma Videoreality GmbH. Die Firma ist auf die Produktion innovativer VR-Anwendungen und -Erlebnisse spezialisiert. Als wissenschaftliche Partner des Projekts fungieren das Zentrum für Interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZiS) des Uniklinikums Würzburg und der Lehrstuhl für Psychologie I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).
Ziel: Eine veränderte Körperwahrnehmung
Das geplante Behandlungskonzept sieht vor, dass Schmerzpatientinnen und -patienten eine VR-Brille aufsetzen und sich daraufhin in der virtuellen Welt anwesend fühlen. „Sie sollen zunächst das Gefühl haben, einen virtuellen Körper oder Avatar zu besitzen, der sich an der gleichen Position wie ihr echter Körper befindet“, schildert Yevgenyia Nedilko. Anschließend wird diese Sichtweise so verändert, dass eine außerkörperliche Erfahrung entstehen kann. „Wir vermuten, dass auf diesem Weg eine Veränderung der Körperwahrnehmung möglich ist“, sagt Prof. Dr. Heike Rittner. Laut der Leiterin des ZiS lässt sich dadurch bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen wahrscheinlich ein Zustand erreichen, in dem der empfundene Schmerz reduziert und der schmerzfreie Bewegungsgrad erhöht ist.
„Auf dieser Basis können speziell konzipierte Bewegungsübungen einen neuen, gesunden Lernprozess auslösen“, meint Dr. Ivo Käthner, der das Teilprojekt am Lehrstuhl für Psychologie I der JMU leitet und VR bereits seit mehreren Jahren in seiner Forschung zu Schmerz nutzt. Bewegungen, die aus Angst vor Schmerz im „echten Leben“ vermieden wurden, können in der Virtuellen Realität schmerzfrei durchgeführt werden – so die Vorstellung der Projektbeteiligten. „Im Endeffekt soll dieser Prozess dazu führen, dass die Patientinnen und Patienten auch ihren Alltag mit weniger Schmerzen bewältigen können“, hofft Prof. Rittner.
In der jetzt beginnenden, vom BMBF mit bis zu 200.000 Euro geförderten Erprobungsphase soll ein individuell angepasstes Übungsprogramm für Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen entwickelt werden. Bei gutem Verlauf soll im Jahr 2023 eine klinische Machbarkeitsstudie starten.
Interview mit Zeitschrift MEDICA
Über das Projekt spricht Univ.-Prof. Dr. med. Heike Rittner auch in einem Interview mit der Zeitschrift MEDICA. Sie gibt darin Antworten zur Durchführung, den Einsatzmöglichkeiten, dem Ablauf sowie den Wirkmechanismen, auf denen das Vorhaben basiert.