Bisher gab es in Deutschland im Bereich der onkologischen Chirurgie nur zwei Professuren. Vor kurzem fügte die Würzburger Universitätsmedizin eine dritte hinzu: Mitte Juli dieses Jahres übernahm Armin Wiegering eine neu eingerichtete W2-Professur für Onkologische Viszeralchirurgie. Die Besetzung erfolgte quasi „aus den eigenen Reihen“, denn Prof. Dr. Wiegering arbeitet ansonsten als stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Kinderchirurgie – kurz Chirurgische Klinik I – des Uniklinikums Würzburg. Generell ist der gesamte bisherige Karriereweg von Armin Wiegering eng mit Würzburg verknüpft. Schon sein im Jahr 2002 begonnenes Humanmedizinstudium absolvierte er an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität. Nach seiner Approbation im Jahr 2008 startete er als Assistenzarzt an der von Prof. Dr. Christoph-Thomas Germer geleiteten Chirurgischen Klinik I. „Die Chirurgie hat mich von Beginn an fasziniert. Mir gefällt die handwerklich geprägte Arbeit, die einem die erzielten Ergebnisse sofort vor Augen führt. Bezogen auf die Krebstherapie heißt das, dass man in vielen Fällen durch das fachkundige Entfernen von Tumoren die Patientinnen und Patienten wirklich heilen kann“, beschreibt Wiegering.
Auch in der Laborforschung erfolgreich
Eine zusätzliche starke Bindung an die Onkologie entwickelte er durch seine Forschungsarbeit am Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Uni Würzburg ab dem Jahr 2010. „In der akademischen Ausbildung ist es selbstverständlich, dass man auch grundlagenwissenschaftlich arbeitet“, schildert der neue Professor und fährt fort: „Dabei hatte ich Glück, dass ich an das von Prof. Dr. Martin Eilers geführte Institut kam und mich dort einem sowohl spannenden, wie auch therapeutisch aussichtsreichen Thema widmen konnte.“ Vereinfacht gesprochen ging und geht es in seiner Grundlagenforschung darum, beim Kolonkarzinom – also beim Dickdarmkrebs – molekulare Zielstrukturen zu erkennen, aus denen sich möglichst nur auf die Tumorzellen wirkende Therapieansätze entwickeln lassen. Seit dem Jahr 2012 führt Wiegering am Institut für Biochemie und Molekularbiologie dazu eine eigene Gruppe von derzeit acht Nachwuchsforscher*innen. Gemeinsam konzentrierten sie sich auf das APC-Gen von Tumorzellen, das bei 90 Prozent aller Fälle von Dickdarmkrebs mutiert ist. „Wir wollten Gene finden, die nur für das Überleben von Zellen mit APC-Mutation wichtig sind, nicht aber für gesunde Zellen“, erklärt der Professor. Die Suche war erfolgreich. Hemmen die Forscher*innen das Gen mit dem Namen eIF2B5, dann sterben die mutierten Darmkrebszellen den sogenannten programmierten Zelltod. Gesunde Zellen dagegen verkraften die Hemmung des Gens ohne jegliche Beeinträchtigung. Von dieser Erkenntnis ausgehend will das Forschungsteam neue Behandlungsmethoden entwickeln und zudem weitere Gene untersuchen.
Klinische Forschung: Wie kommt man zum besten Behandlungsergebnis?
Bei seiner klinischen Forschung will Prof. Wiegering unter anderem durch die Auswertung großer Patientendatenbanken der Frage nachgehen, welche Faktoren dafür sorgen, dass eine Krebspatientin oder ein Krebspatient mit dem bestmöglichen Ergebnis aus einer OP hervorgeht. „Hierbei konnten wir schon in mehreren Studien zeigen, wie wichtig bei viszeralonkologischen Eingriffen die Erfahrung der behandelnden Klinik für die Überlebenschancen der Patientinnen und Patienten ist – während der Operation selbst, wie auch im weiteren Verlauf“, berichtet der Mediziner. Nach seinen Erkenntnissen sollten sich Menschen mit Darm-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen-, Leber- oder Speiseröhrenkrebs möglichst in den entsprechenden Zentren mit hohen Behandlungszahlen und großer Erfahrung operieren lassen.
Mit hochrangigem Forschungspreis geehrt
Eine besondere Würdigung erfuhren die bisherigen wissenschaftlichen Leistungen von Prof. Wiegering im Mai dieses Jahres: Er erhielt den Johann-Georg-Zimmermann-Forschungspreis 2020/2021. Mit diesem Award ehrt die Förderstiftung „MHH plus“ – MHH steht für Medizinische Hochschule Hannover – junge Krebsforscher*innen für ihre aktuelle wissenschaftliche Arbeit. Laut der Laudatio des Preises beeindruckte Wiegering das Kuratorium mit seiner gelebten Vision des Clinician Scientist, der vor allem in Bezug auf die Versorgungsrealität onkologischer Patient*innen den Spagat zwischen klinischem Alltag und Grundlagenforschung in einzigartiger Weise meistere. Der Johann-Georg-Zimmermann-Forschungspreis zählt zu den höchsten Auszeichnungen für Verdienste in der Krebsforschung in Deutschland.
Breite viszeralonkologische Therapieangebote
Hinter der Einrichtung der neuen Professur steht laut Prof. Wiegering das Ziel der Universitätsmedizin, die Sichtbarkeit und Leistungsfähigkeit Würzburgs als bedeutender Standort der onkologischen Forschung und Krebstherapie weiter zu erhöhen. Die Viszeralonkologie spielt hier nach seinen Worten bereits heute eine bedeutende Rolle. Beispielsweise leitet er zusammen mit Prof. Germer unter dem Dach des Comprehensive Cancer Centers Mainfranken ein von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziertes Viszeralonkologisches Zentrum. Hier wird Patient*innen mit Darm-, Pankreas-, Magen-, Leber- oder Speisenröhrenkrebs eine umfassende, fächerübergreifende Versorgung auf dem neuesten Stand der Wissenschaft angeboten. „Es gibt bundesweit nur fünf weitere Zentren, die in allen diesen viszeralonkologischen Bereichen zertifiziert sind“, verdeutlicht Prof. Wiegering. Besondere Würzburger Schwerpunkte mit weitem Einzugsbereich liegen auf der Behandlung von Darm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine hohe Fernwirkung besteht zudem bei multiviszeralen Eingriffen, also bei Operationen von fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, bei denen mehrere Organe betroffen sind. Und bei manchen Tumorentitäten kommen Patient*innen aus ganz Deutschland zur Therapie nach Würzburg. „Beispielsweise verfügen wir über eine bundesweite Expertise bei der Behandlung der low-grade muzinösen Neoplase der Appendix – kurz LAWN“, sagt Prof. Wiegering. Darunter versteht man seltene Tumore des Wurmfortsatzes des Blindarms, die je nach Stadium mit höchst unterschiedlichem Aufwand behandelt werden müssen. „Auch wenn die Chirurgie bei vielen Tumoren die Therapie der Wahl ist, ist der operative Eingriff häufig nur ein Teil einer komplexen Behandlung, in die viele Disziplinen eingebunden sind“, unterstreicht Prof. Wiegering. So gehört es zu seinen Aufgaben, bei der Behandlungsplanung über den chirurgischen Tellerrand hinauszuschauen und mit den jeweiligen Expert*innen – zum Beispiel für Chemo- oder Strahlentherapie – den individuell besten Ablauf festzulegen.