Umgang mit ME/CFS in der Schule
Als Pädagoginnen und Pädagogen können Sie die betroffenen Kinder oder Jugendlichen psychosozial begleiten und bei der Bewältigung der krankheitsbezogenen Anforderungen unterstützen.
Was können Sie als pädagogische Fachkraft tun?
Wichtig ist, dass Sie sich über ME/CFS informieren. Im Internet finden Sie auf der Homepage von Selbsthilfegruppen wie Elterninitiative ME/CFS-kranke Kinder & Jugendliche München e.V. oder Fatigatio e.V. zahlreiche Informationen zum Krankheitsbild wie auch zum Thema Schule und darüber, was Lehrkräfte oder andere Personengruppen, die im schulischen Bereich tätig sind, was Sie als Lehrkraft tun können.
Um die betroffenen Kinder und Jugendlichen gut begleiten und unterstützen zu können, bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit der oder dem Betroffenen, den Eltern sowie den Ärztinnen und Ärzten. Außerdem bedarf es individueller Absprachen und einer individuellen Gestaltung des Schulalltags.
Auswirkungen auf die Entwicklung
Chronische Erkrankungen haben Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung der Betroffenen. Umgekehrt hat die psychosoziale Entwicklung Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Durch die Einschränkungen und Beeinträchtigungen in verschiedensten Lebensbereichen stellt die chronische Erkrankung einen großen Belastungsfaktor dar, der sich auch auf die psychische Gesundheit niederschlagen kann. Kinder und Jugendliche mit ME/CFS sind zu einer streng strukturierten Lebensweise gezwungen, um Überlastung zu meiden. Spontane Treffen mit Freundinnen und Freunden sind dadurch schwierig. Zusätzlich zu den symptombedingten Fehlzeiten verpassen sie den Unterricht aufgrund häufiger Arzttermine und zeitaufwendiger Therapien.
Durch die fehlende Planbarkeit in einer so wichtigen Phase des Lebens leiden viele Betroffenen unter Zukunftsängsten. In Befragungen geben von ME/CFS betroffene Kinder und Jugendliche an, dass sie befürchten, hinter den Gleichaltrigen zurückzubleiben, sowohl im schulischen als auch im sozialen Bereich. Auch der Verlust des Freundeskreises und die soziale Isolation sind Gegenstand von Ängsten.
Die Schule ist für viele Betroffene eine der letzten Möglichkeiten der sozialen Interaktion, da sie durch die Erschöpfung keine Energie für Freizeitaktivitäten oder Sozialleben aufbringen können. Um die Teilhabe zu verbessern und die Kinder und Jugendlichen psychosozial zu begleiten, sollten soziale Kontakte und Vermittlung von Wissen individuell gewichtet werden.
In den Stundenplan sollte auch Zeit für den Kontakt mit Mitschülerinnen und Mitschülern eingeplant werden. Gelingt es, dass die Betroffenen ihre sozialen Kontakte aufrechterhalten, kann dies eine positive Auswirkung auf die Genesung haben.
Individuelle Unterstützung, Nachteilsausgleich, Notenschutz
Individuelle Unterstützung, Nachteilsausgleich und Notenschutz sollen Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen in ihrer schulischen Entwicklung unterstützen und es ihnen ermöglichen, einen Schulabschluss zu erreichen. Rechtliche Grundlage ist die Bayerische Schulordnung (BaySchO), welche in Teil 4 die individuelle Unterstützung, den Nachteilsausgleich und den Notenschutz regelt. Voraussetzung ist, dass die schulartspezifischen Bildungsziele erreicht werden und sich die Maßnahmen am Einzelfall und den örtlichen Gegebenheiten orientieren.
Werden hilfreiche Anpassungen getroffen, können Kinder und Jugendliche trotz ME/CFS die Erfahrung machen, dass die Schule eine für sie bewältigbare Aufgabe ist. Dies kann sie in ihrer Selbstwirksamkeit stärken und wirkt sich wiederum positiv auf den Krankheitsverlauf aus.
Individuelle Unterstützung
Maßnahmen der individuellen Unterstützung beruhen auf individuellen Absprachen zwischen der Schule und dem betroffenen Schüler oder der Schülerin. Sie zählen nicht zur Leistungsfeststellung, sondern betreffen nur den Unterricht. Sie sind nicht genehmigungspflichtig und werden nicht im Zeugnis bemerkt, wodurch sie ohne großen bürokratischen Aufwand den Schulalltag der betroffenen Schülerinnen und Schüler erheblich erleichtern können. Beispiele für individuelle Unterstützung:
- verkürzter Schultag oder verkürzte Schulwoche, Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel später kommen oder früher gehen; nur zwei bis drei Tage pro Woche erscheinen
- Konzentration auf Hauptfächer
- mehr und längere Pausen, auch während des Unterrichts
- Erleichterung des Heimgeh-Prozederes (Abmeldung, Heimweg)
- Ernennung eines vertrauten Ansprechpartners für Eltern, andere Lehrerinnen und Lehrer, eventuell Ärztinnen und Ärzte
- Übermittlung aller Mitschriften und Arbeitsblätter, entweder durch die Lehrkräfte oder durch Mitschülerinnen und Mitschüler
- Verwendung von Gehörschutz und Sonnenbrille
- ablenkungsarme Umgebung, zum Beispiel in Tafelnähe
- Nutzung eines Laptops mit der Erlaubnis, Abgaben online einzureichen
- bei Kreislaufproblemen: essen, trinken, Beine hochlegen, bewegen
- Gestaltung der Arbeitsblätter mit gut lesbarer großer Schrift, mit ausreichend Abstand
- Anpassung des Umfangs der Hausaufgaben
- Modifizierter oder kein Sportunterricht, in Absprache mit dem Arzt oder der Ärztin
- Ruheraum, in den sich die Betroffenen bei Fatigue zurückziehen
- Benutzung eines Aufzugs
- kein Wechsel des Unterrichtsraums
- Klassenzimmer im Erdgeschoss
- zweites Bücherset
- keine unangekündigten Notenerhebungen
- keine „Prüfungsphase“, für ausreichend Lern- und Regenerationszeit
- Unterstützung in der Organisation von Aufgaben und Abgaben in einem Planer, um den Überblick über ausstehende, erledigte Aufgaben und Zeitmanagement zu behalten
- Arbeitsaufgaben nicht gleichzeitig, sondern nacheinander abarbeiten und diese in machbare Bruchstücke runterbrechen; „Information overload“ vermeiden; kurze Projekte sind besser als Langzeitprojekte
Nachteilsausgleich
Der Nachteilsausgleich betrifft den Bereich der Leistungsanforderung und wird gewährt, um Chancengleichheit herzustellen. Die Schülerin oder der Schüler kann durch die Maßnahmen zeigen, dass er oder sie Leistung erbringen kann, wenn die Einschränkungen ausgeglichen werden. Die Maßnahmen müssen durch die Ministerialbeauftragte oder den Ministerialbeauftragten unter Vorlage einer fachärztlichen Bescheinigung bewilligt werden. Sie müssen nicht im Zeugnis vermerkt werden.
Vertiefende Informationen zu Nachteilsausgleich finden Sie im Handbuch Individuelle Unterstützung, Nachteilsausgleich, Notenschutz des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus
Damit Mitschülerinnen und Mitschüler die angewendeten Maßnahmen nicht als Bevorzugung, sondern als notwendig für die Herstellung von Chancengleichheit wahrnehmen, kann es nötig sein, die Klasse über ME/CFS zu informieren. Dies muss immer in Absprache mit den Eltern und unter Beachtung des Willen der oder des Betroffenen geschehen. Diagnosen dürfen nicht ohne schriftliche Einwilligung weitergegeben werden, weder an Mitschülerinnen und Mitschüler noch an weitere Lehrkräfte. Betroffene oder Mitschülerinnen und Mitschüler könnten Referate über die Erkrankung halten. Online gibt es kindgerechtes Informationsmaterial zu ME/CFS, zum Beispiel als Comic.
Zeigen Sie Verständnis für die Schülerinnen und Schüler und deren Situation. Überlegen Sie gemeinsam mit der Schülerin oder dem Schüler und der Familie, wie Sie unterstützen können.
Quellen
Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer: „Chronische Erkrankung als Problem und Thema im Unterricht“
Rowe PC, Underhill RA, Friedman KJ, Gurwitt A, Medow MS, Schwartz MS, Speight N, Stewart JM, Vallings R, Rowe KS. Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome Diagnosis and Management in Young People: A Primer. Front Pediatr. 2017 Jun 19;5:121. doi: 10.3389/fped.2017.00121. PMID: 28674681; PMCID: PMC5474682.
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