Trägt ein Patient Slipper, dann ist das für Angelika Batzner und Hubert Seggewiß schon das erste Indiz für eine Hypertrophe Kardiomyopathie, kurz HCM. Viele Betroffene haben Luftnot beim Vornüberbeugen, wie etwa beim Binden der Schnürsenkel. „Frühstück ist nicht mein Ding“, oder „Alkohol schmeckt mir nicht“ sind ebenfalls typische Aussagen von Patienten, die an der Unterform HOCM leiden. Das O steht für obstruktiv. Das bedeutet, dass der verdickte Muskel kurz vor der Aortenklappe den Auswurf des Blutes aus dem Herzen behindert. Etwa 70 Prozent der HCM-Betroffenen leiden darunter beziehungsweise arrangieren sich mit der Erkrankung, indem sie unangenehme Situationen unbewusst vermeiden.
Luftnot, Brustschmerzen, Engegefühl, Herzrasen
Nach dem Essen bekommen sie zum Beispiel häufig schlecht Luft, da weniger Blut ins Herz fließt, die Kammern werden enger. Brustschmerzen und Engegefühl sind die Folge. Bei Alkohol weiten sich die Gefäße, der Blutdruck fällt, das Herz rast. Typisch ist auch, dass man an einem Tag fünf Etagen problemlos hochlaufen kann, am nächsten Tag schon nach fünf Stufen schlappmacht. „Nach einer erfolgreichen Behandlung merken die Patienten oft, dass es ihnen bessergeht, ohne dass ihnen zuvor bewusst war, dass es ihnen schlecht ging. Sie haben sich gut angepasst,“ resümiert Angelika Batzner. Das sei jedoch tückisch, denn unbehandelt kann eine HCM zum plötzlichen Herztod führen. Angelika Batzner erwähnt als Beispiele die jungen Sportler, die plötzlich tot umfallen.
Die Kardiologin wollte eigentlich Allgemeinmedizinerin werden. Als sie im Rahmen ihrer Facharztausbildung jedoch ans Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt kam, wo Hubert Seggewiß von 2000 bis 2017 Chefarzt der Medizinischen Klinik I war, und sie auf einmal lauter Patienten mit einer Erkrankung sah, die sie vorher noch nie gehört oder gesehen hatte, war sie „angefixt von diesem superspannenden Krankheitsbild“, erzählt sie. Jetzt wird sie weiter von Seggewiß angelernt, sodass sie eines Tages in seine Fußstapfen treten und neben der Sprechstunde am DZHI auch die Katheterablationen an der Medizinischen Klinik und Poliklinik I durchführen kann.
Herzmuskel verdünnt sich nach künstlichem Herzinfarkt
Seggewiß gilt als HOCM-Koryphäe. Einen Namen hat er sich vor allem in der Weiterentwicklung der perkutanen Alkoholseptumablation gemacht. Sie wird bei der HOCM eingesetzt. Ihnen kann eine Ablation das Leid oft nehmen und eine Operation am offenen Herzen ersparen. Dabei wird Alkohol in den Ast gespritzt, der die verdickte Muskulatur der Scheidewand versorgt. Dadurch wird ein kleiner künstlicher Herzinfarkt ausgelöst. Der Herzmuskel verdünnt und die Herzfunktion normalisiert sich. Wichtig sei, dass zuvor mittels Ultraschall und Kontrastmittel geprüft und gesteuert wird, wo der Alkohol hinfließt, damit nur das überflüssige Gewebe zerstört und die Bahn freigemacht wird. Seggewiß hat das Verfahren entscheidend weiterentwickelt und führt es seit 25 Jahren durch. An die 100 Eingriffe hat er pro Jahr in Schweinfurt gemacht. Seit Februar 2016 ist er außerplanmäßiger Professor an der Universität Würzburg.
Synergien nutzen
„Wir freuen uns, der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit HCM gemeinsam mit der im DZHI und am Universitätsklinikum Würzburg gebündelten Kompetenz in Forschung, Diagnostik und Behandlung weiteren Auftrieb geben zu können“, sagt Prof. Dr. Seggewiß. Da die HCM größtenteils genetisch bedingt ist, bestehen wichtige Synergien mit dem Department Kardiovaskuläre Genetik am DZHI. Leiterin ist Prof. Dr. Brenda Gerull, die zugleich Sprecherin des Zentrums für Genetische Herz- und Gefäßerkrankungen am Uniklinikum Würzburg ist. Eine enge Zusammenarbeit soll zukünftig über die genetische Beratung von Betroffenen und deren Familien hinausgehen und auch die Forschung bereichern, wie zum Beispiel die Etablierung von personalisierten Stammzellmodellen für neue Therapien.
Auch das Labor-Team von Prof. Dr. Christoph Maack, Sprecher des DZHI, arbeitet bereits seit längerem an den Krankheitsmechanismen der HCM. „Die Genmutationen bei HCM steigern enorm den Energiebedarf des Herzens. Wir haben herausgefunden, dass hierdurch vermehrt Sauerstoffradikale in den Kraftwerken der Zellen, den Mitochondrien, entstehen. Und diese lösen Arrhythmien aus“, so Maack. In Modellsystemen konnten bereits Therapien, die in Mitochondrien angreifen, Arrhythmien verhindern. Zusammen mit Seggewiß und Batzner, sowie Prof. Stefan Störk, dem Leiter der Klinischen Forschung am DZHI, soll nun auch in klinischen Studien untersucht werden, ob durch Katheterablationen und medikamentöse Therapien der Energiebedarf abnimmt und hierdurch sich Herzfunktion und Beschwerden der Patienten verbessern. Hierbei sollen auch moderne Bildgebungsverfahren der Echokardiographie, Magnetresonanztomographie (MRT) und Nuklearmedizin am DZHI und UKW zum Einsatz kommen.
Sprechstunde für Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) am DZHI
Dienstag und Mittwoch von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr
Anmeldung in der Herzinsuffizienz-Ambulanz im DZHI bei Heike Hergenröder:
Telefon: +49 931 201-46267, E-Mail: DZHI-Ambulanz@ ukw.de
Selbsthilfe
Der Verein HOCM Deutschland e.V., dessen Gründungsmitglied Hubert Seggewiß ist, unterstützt Menschen mit hypertropher Kardiomyopathie und organisiert Selbsthilfegruppen: www.hocm.de
Aktuelle Publikation
Batzner, A., Seggewiß, H. Hypertrophe Kardiomyopathie. Herz (2020). https://doi.org/10.1007/s00059-020-04899-y
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