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Würzburg ist Zentrum der Immunkardiologie – „the place to be“

Gustavo Ramos hat seit 1. Dezember 2023 eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Heisenberg-Professur für Immunkardiologie

Porträt von Gustavo Ramos im Labor
Der Biologe Gustavo Ramos ist seit Dezember 2023 Professor für Immunkardiologie am Uniklinikum Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW
Aufnahme eines infarzierten Herzens mit markierten Immunzellen
Bild aus dem diesjährigen wissenschaftlichen Adventskalender (www.ukw.de/advent) – Kläppchen Nummer 2: Massive Infiltration von Immunzellen in das Herz nach einem Infarkt. In Grün ist die Morphologie des Herzens zu sehen, in Gelb leuchten die Antikörper (Anti-CD45), die an das CD45-Antigen der Leukozyten gebunden haben. Die Probe wurde von Murilo Delgobo aus der AG Ramos im DZHI hergestellt und von Lisa Popiolkowski und Anne Auer mit einem Lichtblatt-Fluoreszenz-Mikroskop in der Core Unit Fluorescence Imaging am RVZ aufgenommen. © Anne Auer / DZHI

Die Laufbahn von Gustavo Ramos ist geprägt von Idolen. So war der Biologe aus Brasilien bei der Wahl seines Dissertationsthemas zwischen zwei Professoren - einem kardiologischen Wissenschaftler und einem Immunologen - hin und hergerissen. Er bewunderte beide. Also vereinte er im Jahr 2007 die Themen und forschte zum damals noch unbekannten und namenlosen Fach „Immunkardiologie“. Als er 2012 an der Federal University of Santa Catarina in Florianópolis die Promotion abschloss, veröffentlichten zeitgleich auf der anderen Seite des Ozeans die Professoren Stefan Frantz und Ulrich Hofmann vom Uniklinikum Würzburg (UKW) ihre bahnbrechenden Erkenntnisse zur Rolle von T-Zellen bei der Wundheilung nach einem Herzinfarkt. Gustavo Ramos war klar, er musste nach Würzburg. Er bewarb sich bei Stefan Frantz und arbeitete als Postdoc in dessen Arbeitsgruppe. 2014 folgte er dem Kardiologen nach Halle/Sachsen-Anhalt, etablierte ein eigenes Forschungsteam und sog nebenbei das historische Flair der Umgebung auf. „Als Teenager habe ich in Brasilien die Biografie von Johann Sebastian Bach gelesen. Ich hätte mir nie erträumt, dort zu arbeiten, wo er einst gewirkt hat.“ Ebenso gut erinnert er sich an die Mischung aus Schock und Bewunderung, die er für Werner Karl Heisenberg empfand, als er dessen Unschärferelation studierte. „Und nun habe ich die unbeschreibliche Ehre aber auch große Verantwortung, eine Professur mit seinem Namen inne zu haben“, sagt Ramos, der seit 2018 eine Juniorforschungsgruppe am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) leitet. 

Respekt vor Heisenberg hemmte bei der Bewerbung

Er habe einige Anläufe gebraucht, um sich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für das prestigeträchtige Heisenberg-Programm bewerben. Zu groß sei der Respekt vor dem Werk des Physikers gewesen, der mit 31 Jahren für seinen Beitrag zur Quantenmechanik den Nobelpreis erhielt. Schließlich hat er sich Heisenberg über dessen Biografie genähert. Und, ob Zufall oder Wink des Schicksals: Heisenberg wurde in Würzburg geboren. Gustavo Ramos bewarb sich und hatte Erfolg. Seit dem 1. Dezember finanziert ihm die DFG eine Heisenberg-Professur für Immunkardiologie, die, sofern die Evaluation nach fünf Jahren erfolgreich ist, von der Universität in eine permanente Professur überführt wird. 

SFB 1525 – Interaktionen zwischen Herz und Immunsystem

Würzburg ist für Ramos „the place in the world to be“. Inzwischen konzentrieren sich in der Würzburger Universitätsmedizin Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen auf die „Interaktionen zwischen Herz und Immunsystem“. In dem gleichnamigen Sonderforschungsbereich 1525 bündeln insgesamt 14 Einrichtungen in 17 Teilprojekten und zwei Serviceprojekten ihre Expertise. Als wissenschaftlicher Sekretär war Gustavo Ramos gemeinsam mit Ulrich Hofmann maßgeblich beteiligt an dem fast 500 Seiten umfassenden SFB-Antrag bei der DFG. „Ich blättere fast jeden Tag in dem Buch und entdecke Neues“, gesteht Gustavo Ramos. Stefan Frantz, Sprecher des SFB 1525 erklärt: „Durch die Zusammenführung von Expertinnen und Experten aus den Fachbereichen Kardiologie, Immunologie, RNA-Biologie, Bioinformatik und Bildgebung ein einzigartiges Team entstanden. Die intensive und vielschichtige Informationsgewinnung im neuen Verbund verspricht Dynamik im aufstrebenden Forschungsfeld.“

Worauf antworten die Immunzellen? Die Suche nach kardialen Antigenen

Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren, in denen er nun in Deutschland forscht, getan? „Sehr viel“, sagt Ramos, der inzwischen mit seiner Frau und Tochter eingebürgert wurde. „Der Forschungsbereich wächst weltweit, und wir haben Material und Werkzeug etabliert, mit dem wir exakt untersuchen, wie das Immunsystem nach einem Infarkt arbeitet.“ Anders als bei bakteriellen oder viralen Infektionen wie etwa Covid-19, wo schnell klar war, dass man einen Impfstoff gegen das Spike-Protein benötigt, waren die Immunantworten nach einem Herzinfarkt oder einer Herzinsuffizienz noch unklar. 

Tatsächlich hat Gustavo Ramos im Jahr 2019 die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen gefunden (Journal of Clinical Investigation). Unter 20.000 Proteinen, die sich im Herzen nachweisen lassen, hat er mit seinem Team den Teil des Proteins identifiziert, der für die Bildung der T-Zellen verantwortlich ist, welche als Helferzellen des Immunsystems eine frühe Heilung nach einem Herzinfarkt unterstützen. Es handelt sich um das Strukturprotein Myosin Heavy Chain Alpha (MYHCA). Gleichzeitig konnte Ramos mit seinem Team zeigen, wo sich die Zellen bilden: in den mediastinalen Lymphknoten, also in den Lymphknoten, die in der Mitte des Brustkorbs zwischen beiden Lungenflügeln liegen. Anschließend wandern diese Zellen ins Herz. Die Erkenntnisse aus den Untersuchungen am Mausmodell konnten in Zusammenarbeit mit der Nuklearmedizin des Uniklinikums Würzburg an Herzinfarktpatienten bestätigt werden. Sie fanden zudem folgende Korrelationen heraus: Je schwerer der Infarkt, desto mehr herzreaktive T-Zellen bildet der Körper. Und je größer die Lymphknoten, desto besser die Heilung. Aufbauend auf dieser bahnbrechenden Studie hat seine Arbeitsgruppe im Februar 2023 im Journal Circulation Research veröffentlicht, was genau die Myosin-spezifischen T-Zellen im infarzierten Herz machen. „Sie infiltrieren, nehmen einen regulatorischen Phänotyp an und schwächen die lokale Entzündung ab“, erklärt Ramos. 

T-Zellen: Die guten von den schlechten „Heilern“ unterscheiden

Entscheidend sei, die Entzündung nach dem Infarkt zunächst nicht zu blockieren, da erst durch diese entzündlichen Prozesse das Immunsystem und somit die T-Zellen aktiviert werden und damit der Heilungsprozess angeregt wird. Bei einigen Patienten ist die Wundheilung jedoch beeinträchtigt. Sie bilden nicht so viele und möglicherweise auch schlechte T-Zellen. Denn nicht alle Zellen haben eine positive Wirkung auf die Wundheilung. Daher liegt ein weiterer Forschungsschwerpunkt der Juniorgruppe Ramos auf der Identifizierung spezifischer T-Zell-Profile, um die guten von den schlechten „Heilern“ zu unterscheiden und zu prüfen, ob und wann sich gute T-Zellen in schlechte entwickeln und mehr schaden als helfen. 

Zwischenzeitlich hat die AG Ramos im Journal of Molecular and Cellular Cardiology ein weiteres kardiales Antigen beschrieben, welches bei einigen Patientinnen und Patienten nach einem Myokardinfarkt T-Zellen aktiviert. 

Biomarker für die Charakterisierung von Risikofaktoren

„Wir untersuchen aber nicht nur die Wundheilung, wir versuchen auch das Immunsystem zu charakterisieren, bevor sich eine Herzkrankheit manifestiert“, fügt Ramos hinzu. Dafür haben wir das Glück und können auf die Proben aus der Kohortenstudie STAAB zurückgreifen. In STAAB werden am DZHI 5000 Männer und Frauen im Alter von 30 bis 79 Jahren ohne bekannte Herzinsuffizienz über einen längeren Zeitraum mehrfach untersucht. Ziel ist es herauszufinden, wie häufig eine noch unentdeckte Herzschwäche in der Bevölkerung auftritt und welche Faktoren zur Entstehung einer Herzinsuffizienz beitragen. „Anhand der Basis-Charakterisierung des Immunsystems von supergesunden Menschen und Menschen mit Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Übergewicht haben wir immunologische Veränderungen gefunden, die in Verbindung mit den Risikofaktoren zu stehen scheinen. Für den Longitudinal-Aspekt müssen wir diese Studienteilnehmenden jedoch weiterverfolgen, um zu prüfen, ob diese immunologischen Veränderungen auch mit einem höheren Risiko für eine Herzinsuffizienz einhergehen“, bemerkt Ramos. Ein weiterer Aspekt liegt auf den Alterungsprozessen, wie verändert sich das Immunsystem im Alter und wie wirkt es sich auf das alternde Herz aus. Ihre im Cardiovascular Research veröffentlichen Erkenntnisse aus Studien an Mausmodellen will die AG Ramos nun an der STAAB-Kohorte untersuchen. 

„Ich bin 100 Prozent für kollaborative Wissenschaft!“

Ob im Team mit seinen zehn Mitarbeitenden, auf dem Campus, Europa oder der Welt, Gustavo Ramos liebt die Zusammenarbeit. „Ich bin 100 Prozent für kollaborative Wissenschaft. Die Zusammenarbeit ist der beste Teil meiner Arbeit.“ Vor wenigen Tagen hat er erst eine Bewerbung für eine der Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahmen, kurz MSCA, eingereicht. Die hochkompetitiven MSCA sind Teil des europäischen Programms „Horizont Europe“. Ramos hat sich federführend mit einem internationalen Training-Netzwerk beworben, an dem zehn Länder beteiligt sind. Ferner steht im Juni 2024 ein europäischer Kongress für Cardio-Immunology im Kloster Banz an, den er koordiniert. Es gibt noch viel zu tun. Und wer weiß, vielleicht wird Gustavo Ramos selbst eines Tages ein Idol, oder er ist es schon längst. 
 

Porträt von Gustavo Ramos im Labor
Der Biologe Gustavo Ramos ist seit Dezember 2023 Professor für Immunkardiologie am Uniklinikum Würzburg. © Kirstin Linkamp / UKW
Aufnahme eines infarzierten Herzens mit markierten Immunzellen
Bild aus dem diesjährigen wissenschaftlichen Adventskalender (www.ukw.de/advent) – Kläppchen Nummer 2: Massive Infiltration von Immunzellen in das Herz nach einem Infarkt. In Grün ist die Morphologie des Herzens zu sehen, in Gelb leuchten die Antikörper (Anti-CD45), die an das CD45-Antigen der Leukozyten gebunden haben. Die Probe wurde von Murilo Delgobo aus der AG Ramos im DZHI hergestellt und von Lisa Popiolkowski und Anne Auer mit einem Lichtblatt-Fluoreszenz-Mikroskop in der Core Unit Fluorescence Imaging am RVZ aufgenommen. © Anne Auer / DZHI

MFA hat Schlüsselrolle in Herzinsuffizienz-Versorgung

Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) prüft in bundesweiter Studie HI-PLUS die bedarfsoptimierte Versorgung von Menschen mit Herzinsuffizienz durch nichtärztliches Fachpersonal und eHealth-Plattform

Stefan Störk bei einer Fortbildung von HI-Nurses
Neben den Fortbildungen für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte (HI-Nurse) leitet Prof. Dr. Stefan Störk am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) seit 2017 auch die Fortbildungen zur Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenz (HI-MFA). © Daniel Peter / UKW
Stefan Störk mit MFAs bei hybrider Fortbildung
Ende November haben am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) 24 Medizinische Fachangestellte erfolgreich die hybride Fortbildung zur Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenz (HI-MFA) abgeschlossen, neun von ihnen sind Teil der neuen Versorgungsstudie HI-PLUS. © Kirstin Linkamp / UKW

Würzburg. Ende November haben am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) 24 Medizinische Fachangestellte (MFA) erfolgreich ihre Fortbildung zur Herzinsuffizienz-MFA (HI-MFA) abgeschlossen, neun von ihnen sind Teil der neuen Versorgungsstudie HI-PLUS. In der Cluster-randomisierten kontrollierten Studie, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen des Innovationsfonds für drei Jahre mit rund 3,3 Millionen Euro gefördert wird, evaluiert das DZHI einen neuen Ansatz zur sektorenübergreifenden patientenindividuellen Versorgung. Dabei nehmen die Herzinsuffizienz-MFA eine Schlüsselrolle ein. 

Herzinsuffizienz-Patienten erhalten oft keine leitlinien- oder bedarfsgerechte Therapie

„Die Versorgung von Menschen, die an Herzinsuffizienz leiden, ist sehr komplex. Insbesondere nach Erstdiagnose oder nach einer Krankenhauseinweisung übersteigt die sehr individuell zu planende und umfängliche Behandlung häufig die Zeitkontingente im ambulanten Bereich. Herzinsuffizienz-Patienten erhalten daher oft keine leitlinien- oder bedarfsgerechte Therapie“, erläutert Prof. Dr. Stefan Störk die Hintergründe von HI-PLUS. Stefan Störk ist Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am DZHI sowie des Fortbildungsprogramms für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte (HI-Nurse) und Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz (HI-MFA) am DZHI. 

Strukturiertes, evidenzbasiertes Care- und Case-Management

In bisherigen Versorgungsprogrammen konnte bereits gezeigt werden, dass eine engmaschigere Betreuung der Patientinnen und Patienten zu einer gesteigerten Krankheitskompetenz und damit zu einem deutlich verbesserten Behandlungsergebnis führt. HI-PLUS baut darauf auf und will zeigen, dass eine zwölfmonatige Behandlung im Rahmen eines strukturierten und evidenzbasierten Care- und Case-Managements die Lebens- und Versorgungsqualität von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz im Vergleich zur derzeitigen Standardversorgung verbessern kann. Zudem werden weitere positive Effekte erwartet, wie die Stärkung der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen Hausarztpraxen und Facharztpraxen, was auf lange Sicht allen Patientinnen und Patienten zu Gute kommt, die Therapie wird nicht nur optimiert, sondern auch besser angenommen. 

Starke Projektpartner

HI-PLUS wird durch starke Kooperationspartner gemeinsam getragen. Das Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (Prof. Peter Heuschmann) der Universität Würzburg evaluiert die Studiendaten. Der Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Controlling und interne Unternehmensrechnung der Universität Würzburg (Prof. Andrea Szczesny) führt im Rahmen des Projektes die gesundheitsökonomische Evaluation durch. Die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke (Dr. Bettina Zippel-Schultz) befragt die Patientinnen und Patienten zur wahrgenommenen Versorgungsqualität und führt Interviews mit Ärztinnen, Ärzten, MFAs und Erkrankten zur Einführung und Akzeptanz der neuen Versorgungsform durch. Die Software-Firma SVA System Vertrieb Alexander GmbH stellt die eHealth-Plattform und die elektronische Fallakte medpower® zur Verfügung. 

Engmaschige Betreuung durch die HI-MFA

„Mit 45 kardiologischen Praxen haben wir schon mehr als die Hälfte unserer anvisierten 74 Praxen aus ganz Deutschland rekrutiert. Die kardiologische Praxis ist als Cluster definiert, sie arbeitet mit verschiedenen Hausarztpraxen ihrer Wahl zusammen“, berichtet Studienkoordinatorin Lisa Kimmelmann. Wer Interesse hat, an HI-PLUS teilzunehmen, könne sich weiterhin gerne beim Studienteam melden (www.ukw.de/dzhi/hi-plus). In den Praxen, die der Kontrollgruppe zugeteilt werden, findet unverändert eine Regelversorgung statt. Praxen der Interventionsgruppe lassen ein bis drei MFA aus ihrem Team am DZHI kostenfrei schulen, die dann im Projektverlauf das intensivierte Care- und Case-Management der Erkrankten übernehmen. 

Fortbildung Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz

Das DZHI bietet bereits seit dem Jahre 2017 die Fortbildung zur Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenz nach dem Curriculum der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) an. Der viertägige Lehrgang soll MFA dazu befähigen, Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz strukturiert und individuell nach dem neuesten Wissensstand zu versorgen. Dies beinhaltet unter anderem das Erfassen und Auswerten der multiplen somatischen und psychosozialen Aspekte des Syndroms Herzinsuffizienz, die Therapieüberwachung und Unterstützung der Patienten sowie die Qualitätssicherung. Ein Schwerpunkt des Lehrgangs beruht auf der Vermittlung kommunikationspsychologischer Basiskompetenzen sowie Techniken des telefonischen Monitorings. In Vorlesungen sowie Kleingruppenarbeit und praktischen Übungen werden die Fähigkeit vermittelt, Patienten mit Herzschwäche empathisch und professionell zu betreuen und zu begleiten.

eHealth-Plattform mit leitliniengerechtem Coaching-Modul und barrierefreier Abstimmungsmöglichkeit

Neben dem Lehrgang werden die Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenzen im Rahmen von HI-PLUS in unterschiedlichen Projekt-Modulen geschult. Denn die HI-MFA rekrutieren auch die Studienteilnehmenden und übernehmen das intensivierte HI-PLUS-Patientenmanagement. Dabei werden sie supervidiert durch den fachärztlichen Vorgesetzten und unterstützt durch ein leitliniengerechtes Coaching-Modul auf der eHealth-Plattform. Über die eigens für HI-PLUS entwickelte und von der Firma SVA gehostete Plattform können sich die MFA mit den Ärztinnen und Ärzten aus der kardiologischen Praxis und der hausärztlichen Praxis barrierefrei über den Zustand der Erkrankten, die Behandlungsziele und Medikationsänderungen austauschen. Auf der Plattform gehen die Werte der Telemonitoring-Geräte wie Waage, Blutdruck und bei Bedarf EKG ein, und alle Versorgungsprozesse werden automatisch dokumentiert. 

Bislang haben sich 36 MFA neu im Rahmen von HI-PLUS spezialisiert. Die Praxen, die der Kontrollgruppe zugewiesen wurden, haben nach Studienabschluss die Möglichkeit, ebenfalls ein bis drei MFA kostenfrei im DZHI schulen zu lassen. Das DZHI bietet derzeit jeweils im Frühjahr und Herbst einen HI-MFA Kurs an, der allen MFAs, die die Teilnahmevoraussetzungen erfüllen, offensteht. Kurs- und Studienleiter Stefan Störk ist davon überzeugt, dass das Berufsbild der MFA ein effizientes und zeitgemäßes Konzept zur verbesserten Versorgung dieser wichtigen Patientengruppe darstellt. 


Projektkoordination HI-PLUS:
Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI)
Am Schwarzenberg 15, Haus A15, 97078 Würzburg
Telefon: 0931 201-46306
E-Mail: HI-plus@ ukw.de
www.ukw.de/dzhi/hi-plus
Ansprechpartner: Lisa Kimmelmann / Dr. Peer Papior

 

Über das Krankheitsbild Herzinsuffizienz

Die Zahl der Menschen, die an einer chronischen Herzinsuffizienz, im Volksmund auch Herzschwäche genannt, leiden, wächst stetig. Rund 64 Millionen Menschen weltweit leiden an einer Herzinsuffizienz, davon mehr als 3 Millionen in Deutschland. Herzinsuffizienz ist seit einem Jahrzehnt der häufigste Grund für eine Krankenhausaufnahme und damit ein relevanter gesundheitsökonomischer Faktor. Mit jeder so genannten kardialen Dekompensation und der nachfolgend erforderlichen Krankenhauseinweisung verschlechtert sich die Prognose deutlich. Herzinsuffizienz ist mit einer höheren Sterblichkeit verbunden als die meisten Tumorerkrankungen. Die Tendenz zur Herzinsuffizienz ist in unserer alternden Gesellschaft steigend, aber sie tritt auch bei unter 50-Jährigen auf, Hauptgründe sind hier Übergewicht und Diabetes. Mehr als die Hälfte der Patientinnen und -Patienten hat fünf oder mehr Begleiterkrankungen. Die Pflege und Versorgung von Menschen mit Herzinsuffizienz ist in vielerlei Hinsicht sehr anspruchsvoll. Umso wichtiger ist eine umfassende Behandlung und Betreuung nach der Krankenhausentlassung.

Stefan Störk bei einer Fortbildung von HI-Nurses
Neben den Fortbildungen für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte (HI-Nurse) leitet Prof. Dr. Stefan Störk am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) seit 2017 auch die Fortbildungen zur Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenz (HI-MFA). © Daniel Peter / UKW
Stefan Störk mit MFAs bei hybrider Fortbildung
Ende November haben am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) 24 Medizinische Fachangestellte erfolgreich die hybride Fortbildung zur Spezialisierten Herzinsuffizienz-Assistenz (HI-MFA) abgeschlossen, neun von ihnen sind Teil der neuen Versorgungsstudie HI-PLUS. © Kirstin Linkamp / UKW

Multimorbidität bei Herzinsuffizienz

Zusammenhang mit Weltregionen und Einkommensniveaus in der globalen REPORT-HF Kohortenstudie

Umfassende globale Informationen über Prävalenz und klinische Folgen von Multimorbidität bei akuter Herzinsuffizienz nach Weltregionen und Einkommen gab es bisher nicht. Eine neue Analyse aus der globalen REPORT-HF Studie demonstriert erstmals Zusammenhänge von Multimorbidität mit regionalen und länderspezifischen Unterschieden. In Ländern mit hohem Einkommen wie Deutschland oder USA ist Multimorbidität besonders weit verbreitet und geht mit höherer Sterblichkeit, weniger Verschreibung von Medikamenten gegen Herzinsuffizienz und häufigerer Verwendung potenziell schädlicher Therapien einher.

Die Weltkarte zeigt die Länder, die an der Studie teilgenommen haben und wie hoch ihre durchschnittlichen Komorbiditäten bei Herzinsuffizienz sind.
Prävalenz von Multimorbidität nach Weltregion und Einkommensniveau beteiligter Länder in der REPORT-HF Kohortenstudie. (A) Weltkarte mit der mittleren Anzahl Komorbiditäten pro Land. Weiß kennzeichnet sind nicht an der Kohortenstudie beteiligte Länder. (B) Häufigkeit von Komorbiditäten nach Weltregionen. (C) Komorbiditätsbelastung pro Land nach Einkommensniveau. © UKW published in The Lancet Global Health

Würzburg. Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz haben oft mehrere Begleiterkrankungen. Treten mehr als zwei Erkrankungen gleichzeitig auf spricht man von Multimorbidität. Die Häufigkeit von Multimorbidität bei akuter Herzinsuffizienz liegt zwischen 43 % und 98 %, variiert aber je nach geografischer Region. Frühere Berichte über die Auswirkungen von Multimorbidität bei Herzinsuffizienz bezogen sich auf eine begrenzte Anzahl von Ländern, vorwiegend aus Westeuropa, Asien und Nordamerika oder basierten auf Populationen, die an klinischen Studien teilnahmen, bei denen Patientinnen und Patienten mit Komorbiditäten wie schwerer Niereninsuffizienz oder Krebs in der Regel ausgeschlossen waren. In einer im November 2023 im Journal The Lancet Global Health veröffentlichten Analyse unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg wurden erstmals weltweit die Häufigkeit von Multimorbidität und ihre Auswirkungen auf die Arzneimitteltherapie und die Prognose untersucht.

82 Prozent der Studienteilnehmenden waren multimorbide

Als Basis für die Analyse diente die Datenbank der prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie REPORT-HF (Registry to Assess Medical Practice and Longitudinal Observation for Treatment of Heart Failure). Im Rahmen von REPORT-HF wurden zwischen Juli 2014 und März 2017 in 358 Krankenhäusern aus 44 Ländern auf sechs Kontinenten 18 553 Patienten rekrutiert. Die Dauer der Nachbeobachtung betrug ein Jahr. Dabei benutzen Forschende aus Ägypten, Argentinien, Griechenland, Großbritannien, den Niederlanden, Schweden, Singapur, Norwegen, den USA und Zypern einen einheitlichen Erhebungsbogen. „Fast alle Studienteilnehmende, nämlich 18 528 Patientinnen und Patienten, hatten vollständige Daten zu ihren Komorbiditäten und wurden daher in die Untersuchung einbezogen,“ berichtet Christiane Angermann. „Dabei waren 82 Prozent multimorbide, und wir haben die Länder nach Weltregionen und Einkommensniveaus stratifiziert.“ 

Mehr Komorbiditäten erschweren die leitliniengerechte Pharmakotherapie

Die Prävalenzraten von Komorbidität waren mit 72 Prozent am niedrigsten in Südostasien und mit 92 Prozent am höchsten in Nordamerika. Patientinnen und Patienten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen waren seltener multimorbide als Herzinsuffiziente aus Ländern mit hohem Einkommen (73% gegenüber 85%, p<0,0001). Mit zunehmender Multimorbidität erhielten die Betroffenen weniger leitliniengerechte Herzinsuffizienz-Medikamente, dafür aber mehr Medikamente, die eine Herzinsuffizienz verursachen oder verschlechtern können. 

Multimorbidität verschlechtert die Prognose

In dieser Studie erwiesen sich Komorbiditäten bei Patientinnen und Patienten, die wegen akuter Herzinsuffizienz in ein Krankenhaus aufgenommen worden waren, als wichtige Prädiktoren, also Vorhersagevariablen, für eine verminderte Lebensqualität, mehr Krankenhausaufenthalte und eine schlechtere Prognose: Die Ein-Jahres-Mortalität stieg von 13 Prozent bei Herzinsuffizienten ohne Komorbiditäten bis auf 26 Prozent, wenn fünf oder mehr Komorbiditäten vorlagen. Der populationsbezogene Anteil der Multimorbidität an der Sterblichkeit, die so genannte ‚population attributable fraction‘, war in Ländern mit hohem Einkommen höher als in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen. Mit 61 Prozent gegenüber 27 Prozent und 31 Prozent hatten hier über die Hälfte aller Todesfälle mit Multimorbidität zu tun.

Ergebnisse unterstreichen systemischen Charakter der Herzinsuffizienz und fordern einen multidisziplinären diagnostischen und therapeutischen Ansatz

Die hohe Prävalenz und enorme prognostische Relevanz der Multimorbidität bei herzinsuffizienten Patientinnen und Patienten aller Weltregionen unterstreichen den systemischen Charakter dieses Syndroms und machen deutlich, dass Komorbiditäten bei der Behandlung der Herzinsuffizienz besondere Aufmerksamkeit verdienen. „Multimorbide Patientinnen und Patienten, die eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz überlebt haben, sind nach dieser Analyse weltweit unterversorgt mit den lebensverlängernden Medikamenten, die von den internationalen Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz empfohlen werden. Einerseits wird die Therapie oft unterdosiert, besonders in einkommensschwachen Regionen. Andererseits werden- vor allem in Ländern mit hohem pro-Kopf-Einkommen mit zunehmender Multimorbidität Medikamente gegen diese Krankheiten verschrieben, die ihrerseits Herzinsuffizienz verursachen oder verschlimmern können,“ fasst Christiane Angermann zusammen. „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass Herzinsuffizienz eine lebensgefährliche und komplexe Systemerkrankung ist, deren Behandlung Spezialwissen und einen fachübergreifenden Ansatz erfordert. Multidisziplinäre Betreuungsteams könnten helfen, die medikamentöse Unter- und Fehlversorgung zu vermeiden und die miserable Prognose von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz zu verbessern.“ 

Publikation
Teresa Gerhardt, Louisa M S Gerhardt, Wouter Ouwerkerk, Gregory A Roth, Kenneth Dickstein, Sean P Collins, John G F Cleland, Ulf Dahlstrom, Wan Ting Tay, Georg Ertl, Mahmoud Hassanein, Sergio V Perrone, Mathieu Ghadanfar, Anja Schweizer, Achim Obergfell, Gerasimos Filippatos, Carolyn S P Lam, Jasper Tromp, Christiane E Angermann, Multimorbidity in patients with acute heart failure across world regions and country income levels (REPORT-HF): a prospective, multicentre, global cohort study, The Lancet Global Health, Volume 11, Issue 12, 2023, Pages e1874-e1884, ISSN 2214-109X, https://doi.org/10.1016/S2214-109X(23)00408-4
 

Die Weltkarte zeigt die Länder, die an der Studie teilgenommen haben und wie hoch ihre durchschnittlichen Komorbiditäten bei Herzinsuffizienz sind.
Prävalenz von Multimorbidität nach Weltregion und Einkommensniveau beteiligter Länder in der REPORT-HF Kohortenstudie. (A) Weltkarte mit der mittleren Anzahl Komorbiditäten pro Land. Weiß kennzeichnet sind nicht an der Kohortenstudie beteiligte Länder. (B) Häufigkeit von Komorbiditäten nach Weltregionen. (C) Komorbiditätsbelastung pro Land nach Einkommensniveau. © UKW published in The Lancet Global Health

Die Welt der Leitlinienimplementierung vor, während und nach der Pandemie

Eine am DZHI Würzburg durchgeführte Untersuchung beschreibt die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und den Einfluss der neuen europäischen Herzinsuffizienz-Leitlinien auf die Medikamentenverordnung im Versorgungsalltag. Diese Analyse von Apothekendaten deutet darauf hin, dass evidenzbasiertes klinisches Wissen in der realen Herzinsuffizienz-Versorgung in Deutschland zunehmend besser angenommen wird. Dies scheint durch die neuen ESC-Leitlinien gefördert, aber durch die COVID-19-Pandemie gebremst worden zu sein.

Hi-Nurse überreicht Dose mit Medikamenten
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gingen die Konsultationen in kardiologischen und allgemeinmedizinischen Praxen um rund 40 Prozent zurück. Das hat sich auch auf die Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt. Die Verschreibungszahlen von wichtigen Arzneimitteln brachen ein. © R. Kochanowski / DZHI

Würzburg. Herzinsuffizienz ist in Deutschland die häufigste Einzeldiagnose bei Klinikaufnahmen und hat eine ernste Prognose: nur jede zweite Person mit Neudiagnose Herzinsuffizienz wird die folgenden fünf Jahre überleben. Eine frühzeitige, medizinische Therapie kann jedoch stationäre Aufenthalte reduzieren, Lebensqualität verbessern und die Überlebenswahrscheinlichkeit nachweislich erhöhen. Vor allem die Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF: heart failure with reduced ejection fraction) lässt sich inzwischen gut medikamentös behandeln. Die European Society of Cardiology (ESC) empfiehlt mit höchstem Nachdruck in ihren Leitlinien die Therapie mit vier Wirkstoffgruppen inklusive der beiden neuen Substanzklassen ARNI und SGLT2-Hemmer*, deren zusätzlicher Nutzen in mehreren Studien demonstriert wurde. 

Doch wie gut und schnell wird die neue Evidenz für diese neuartigen medikamentösen Therapien gemäß Leitlinien eigentlich in die tägliche Praxis umgesetzt? Und wie hat sich COVID-19-Pandemie auf die Verordnungsraten in der Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt? Ein Team namhafter Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Störk vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg (UKW) hat sich die Verschreibungspraxis im Zeitraum 2016 bis 2023 genauer angeschaut und ihre Analysen jetzt im Fachjournal THE LANCET Regional Health Europe veröffentlicht. Im Fokus standen dabei die beiden neuen Wirkstoffklassen ARNI und SGLT2-Inhibitor. ARNI ist die Kombination aus dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril und dem Angiotensin-Rezeptor-Blocker Valsartan, das die europäischen Arzneimittelbehörde EMA im November 2015 zugelassen hat. SGLT2-Inhibitoren sind seit August 2021 in den Leitlinien empfohlen.** 

Verschreibungszahlen brachen zu Beginn der Covid-19-Pandemie ein

Konkret untersucht wurden Apothekendaten aus der Verschreibungsdatenbank IQVIA. Die Anzahl der Menschen, die mit Sacubitril/Valsartan behandelt wurden, stieg kontinuierlich an, von 5.260 im ersten Quartal 2016 auf 351.262 im zweiten Quartal 2023. Zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie verlangsamte sich das vierteljährliche Wachstum jedoch erheblich, um etwa 50 Prozent von 16.507 im ersten Quartal 2020 auf 8.804 im darauffolgenden Quartal. 

Ähnlich verhielt es sich bei den Neuverschreibungen. Diese stiegen zwar insgesamt von 5.238 im ersten Quartal 2016 auf 53.534 Verordnungen bis zum zweiten Quartal 2023. Zu Beginn der Pandemie, im Übergang vom ersten zum zweiten Quartal 2020 gingen die Verschreibungen von Sacubitril/Valsartan jedoch um 17,5 Prozent zurück (von 26.855 in Q1/2020 auf 22.145 in Q2/2020). Erst ein knappes Jahr später, im ersten Quartal 2021, wurde mit 27.197 Neuverschreibungen das Niveau vor der Pandemie erreicht. „In den klinischen Studien zu diesem Präparat haben wir gelernt, dass selbst stabile Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz von der Therapie mit Sacubitril/Valsartan im ersten Jahr deutlich profitiert haben. Der um ein Jahr verzögerte oder ausgesetzte Beginn dieser wichtigen Arzneimitteltherapie ist also für die Alltagsversorgung sehr relevant“, kommentiert Prof. Dr. Stefan Störk.

50.000 weniger kardiologische Konsultationen in einer Woche

Die vorliegende Analyse bestätigt die Ergebnisse einer umfassenden Übersichtsarbeit, die 81 Studien aus 20 Ländern berücksichtigt und einen pandemiebedingten Rückgang der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems insgesamt um 37 Prozent und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 29 Prozent aufzeigt. Das passt auch zum Trendreport des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Demnach sanken in Deutschland die Behandlungsfälle in kardiologischen Praxen in der letzten Märzwoche 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent, was 50.000 weniger Konsultationen in einer Woche bedeutet, und in allgemeinmedizinischen Praxen um 39 Prozent, was 500.000 weniger Konsultationen entspricht. 

Resilienz der Gesundheitssysteme bei Pandemien und anderen Krisen stärken 

„Unsere Daten verdeutlichen die negativen Folgen der Pandemie, einschließlich der Lockdown-Maßnahmen, und legen nahe, dass wir die Resilienz, also die Widerstandskraft unseres Gesundheitssystems stärken müssen, um uns für zukünftige Gesundheitskrisen zu wappnen. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten sowie zur Gesundheitsversorgung insgesamt für Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen sicherzustellen. Das betrifft zukünftige Pandemien, kann aber prinzipiell auch auf andere Krisen der öffentlichen Gesundheit, wie beispielsweise Extremwetterereignisse beziehungsweise Überschwemmungen übertragen werden,“ fasst Dr. Fabian Kerwagen zusammen. Der angehende Kardiologe spezialisiert sich im DZHI auf die Versorgungsforschung und ist als Erstautor der Publikation „Impact of the COVID-19 pandemic on implementation of novel guideline-directed medical therapies for heart failure“.

Neue Leitlinien finden relativ schnell den Weg in die Praxis

Als äußerst positiv bewerten die Autoren die schnelle Umsetzung der neuen Leitlinien-Empfehlungen. „Wir haben gesehen, dass sowohl Sacubitril/Valsartan als auch die SGLT2-Hemmer nach Zulassung und Leitlinienempfehlung zunehmend rascher in der Versorgungsrealität ankommen und verschrieben werden“, stellt Fabian Kerwagen zufrieden fest. 

So konnte das Studienteam direkt nach der Zulassung des ersten SGLT2-Inhibitors für HFrEF Ende 2020 einen Anstieg der gemeinsamen Verschreibung von SGLT2-Inhibitor mit Sacubitril/Valsartan nachweisen. Dieser Trend beschleunigte sich mit den neuen ESC-Leitlinien zur Herzinsuffizienz. Das vierteljährliche Wachstum für die Kombinationstherapie verdoppelte sich nahezu von 11.929 im dritten Quartal 2021 auf 22.033 im darauffolgenden Quartal und nahm danach weiter kontinuierlich zu. Zuletzt, im zweiten Quartal 2023, wurde die Kombinationstherapie (S/V und SGLT2-Inhibitor) 80.926 mal verordnet. Allerdings: Frauen und Patienten im Alter von über 80 Jahren wurden seltener mit einer Kombinationstherapie behandelt als Männer und jüngere Patienten. 

„Obwohl klinische Leitlinien zu einem immer besser angenommenen Eckpfeiler der klinischen Versorgung geworden sind, bestehen nach wie vor große Lücken zwischen der Evidenz aus den entscheidenden randomisierten Ergebnisstudien und der Akzeptanz der leitliniengerechten medikamentösen Therapie in der täglichen Praxis. Letztendlich sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, um zu verstehen, wie evidenzbasiertes klinisches Wissen effektiver in die Praxis umgesetzt und genutzt werden kann“, fasst Stefan Störk zusammen. 

*Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI), Natrium-Glukose-Co-Transporter-2-Inhibitoren (SGLT2-Hemmer)

** Im Juni 2021 hatte Empagliflozin nach Dapagliflozin als zweiter SGLT-2-Hemmer die Zulassungserweiterung für HFrEF erhalten.


Publikation: 
Fabian Kerwagen, Uwe Riemer, Rolf Wachter, Stephan von Haehling, Amr Abdin, Michael Böhm, Martin Schulz, Stefan Störk. Impact of the COVID-19 pandemic on implementation of novel guideline-directed medical therapies for heart failure in Germany: a nationwide retrospective analysis. The Lancet Regional Health - Europe, Volume 35, 2023, 100778,
ISSN 2666-7762, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2023.100778.
 

Hi-Nurse überreicht Dose mit Medikamenten
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gingen die Konsultationen in kardiologischen und allgemeinmedizinischen Praxen um rund 40 Prozent zurück. Das hat sich auch auf die Herzinsuffizienz-Versorgung ausgewirkt. Die Verschreibungszahlen von wichtigen Arzneimitteln brachen ein. © R. Kochanowski / DZHI

SGLT2-Hemmer stärken das Herz durch verbesserten Eisenstoffwechsel

Bei der Entschlüsselung der Wirkmechanismen der Wunderdroge SGLT2-Hemmer einen entscheidenden Schritt weiter

 

Eine Post-hoc-Analyse der EMPA-TROPISM-Studie zeigt, dass die positiven Auswirkungen einer Empagliflozin-Behandlung bei Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten mit Effekten des SGLT2-Hemmers auf den Eisenmetabolismus zusammenhängen könnten.

Magnetresonanztomogramm - klassisches CINE-MRT und T2-Mapping
Kurzachsenschnitt durch das Herz. Links: Mit dem klassischen Cine-MRT werden Struktur und Funktion des Herzens quantifiziert. Mitte: Beispiel einer Sequenz mit T2* Information. Eine Abnahme der in Millisekunden gemessenen T2* Zeit entspricht dabei einer Zunahme des Eisengehaltes. Rechts: Beim T2* Mapping wird durch Farbkodierung das Ausmaß der Veränderung von T2* über die Zeit visualisiert.

Jeder zweite Mensch mit einer chronischen Herzinsuffizienz weist einen Eisenmangel auf, auch deshalb, weil sie weniger Eisen aus der Nahrung über den Darm aufnehmen. Bei einer akuten Herzinsuffizienz leiden sogar bis zu 80 Prozent der Erkrankten unter einem Mangel an diesem lebenswichtigen Spurenelement, das für die Energieproduktion der Zellen, für die Blutbildung und die Sauerstoffversorgung von entscheidender Bedeutung ist. Während Eisenmangel schon bei Gesunden die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität mindert, kann er bei Herzinsuffizienz zudem das Risiko für Krankenhauseinweisungen erhöhen und die Prognose verschlechtern. Deshalb empfiehlt die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC), bei Herzinsuffizienz regelmäßig den Eisenstatus zu überprüfen und gegebenenfalls Eisen intravenös zu supplementieren. 

Allzweckwaffe SGLT-2-Hemmer 

Sodium-Glukose-Transporter 2 (SGLT-2)-Hemmer scheinen auch Effekte auf den Eisenstoffwechsel zu haben. Die als neue Wunderwaffe gehandelten, auch Gliflozine genannten Medikamente wirken bei Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz, reduzieren zudem hoch signifikant das Risiko für eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz, Klinikeinweisungen oder frühzeitigen Tod. Die zugrundeliegenden Wirkmechanismen sind noch unvollständig verstanden.

Wie wirkt sich Empagliflozin auf den Eisengehalt im Myokardgewebe aus?

Prof. Dr. Christiane Angermann vom Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) am Uniklinikum Würzburg (UKW) ist nun mit einem internationalen Team bei der Entschlüsselung der Wirkmechanismen dieser Substanzklasse einen entscheidenden Schritt weitergekommen. In der am 26. Oktober 2023 im Fachjournal Nature Cardiovascular Research publizierten Studie EMPATROPISM-FE, einer Post-hoc-Analyse der randomisierten und kontrollierten EMPA-TROPISM-Studie, identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Effekte auf den Eisenstoffwechsel als möglichen Mechanismus für Verbesserungen der Struktur und Funktion des Herzens bei nicht-diabetischen Patientinnen und Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz.

„In jüngerer Zeit wurden komplexe Proteom-Verschiebungen durch SGLT2-Inhibitoren unter anderem hinsichtlich der Eisenregulation aufgedeckt. Weiter war sehr auffällig, dass sich diese Medikamente auf die Funktion vieler Organe, aber zum Beispiel auch auf die Bildung roter Blutkörperchen positiv auswirkten, und zudem Labormarker des Eisenstoffwechsels im Blut veränderten. Bemerkenswert fanden wir auch, dass Effekte von SGLT2-Inhibitoren schon sehr rasch, nämlich innerhalb von zwei Wochen zu beobachten waren. Unabhängig von der SGLT2-Inhibitor-Forschung deuteten schließlich neue Studien darauf hin, dass ein insuffizienter Herzmuskel vermindert Eisen aufnimmt und nutzt, mit gravierenden Auswirkungen auf seinen Energiehaushalt. Vor diesem Hintergrund wollten wir herausfinden, ob die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor wie Empagliflozin hier möglicherweise gleichsam einen Schalter umlegt, so dass die Zellen plötzlich wieder in der Lage sind, mehr Eisen aufzunehmen und zu nutzen“, erklärt Christiane Angermann die Hintergründe der Substudie EMPATROPISM-FE. 

Sättigung des myokardialen Eisengehalts korreliert mit Herzleistung 

In der EMPA-TROPISM-Studie wurde bereits gezeigt, dass der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin den Herzinsuffizienz-bedingten kardialen Umbau teilweise wieder rückgängig machen kann. Die Größe und Masse der erweiterten linken Herzkammer nahm im Vergleich zur Placebo-Gruppe signifikant ab, während die linkventrikuläre Ejektionsfraktion, also die Menge des pro Herzschlag ausgeworfenen Blutes, und die körperliche Leistungsfähigkeit bei Belastung entsprechend zunahmen. 

In der EMPATROPISM-FE Studie hat das DZHI gemeinsam mit Tanja Zeller, Professorin für Genomik und Systembiologie vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Kolleginnen und Kollegen des Cardiovascular Institute, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, an Biomaterialien und kardialen Magnetresonanztomogrammen von 80 der 84 Studienteilnehmenden untersucht, in wieweit diese Behandlungseffekte mit dem Eisenstoffwechsel zusammenhängen. Durchgeführt wurden dazu Analysen des Eisengehaltes im Herzmuskel, der Biomarker des Eisenstoffwechsels im Plasma sowie des roten Blutbildes. 

Dabei stellte sich zunächst heraus, dass die meisten Teilnehmenden bereits bei Studienbeginn erniedrigte Eisenwerte hatten, ein Eisenersatz war aber in keinem Fall erfolgt. Der mittels kardialer Magnetresonanztomographie gemessene Eisengehalt im Herzmuskel stieg trotzdem unter der Behandlung mit Empagliflozin signifikant an, nicht aber unter Placebo. Die Änderungen der sogenannten T2*-Relaxationszeiten innerhalb von sechs Monaten korrelierten dabei signifikant mit den Veränderungen der Volumina, der Muskelmasse und der Auswurffraktion der linken Herzkammer, des maximalen Sauerstoffverbrauchs unter Belastung und der 6-Minuten-Gehstrecke. Und auch die Laborwerte zeigten nach der Empagliflozin-Therapie eine vermehrte Nutzung von Eisen in den Körpergeweben, zum Beispiel im Herzmuskel, und bei der gesteigerten Neubildung von roten Blutkörperchen. 

Alle Befunde sprachen dafür, dass ein höherer Eisengehalt und eine bessere Eisennutzung im Herzmuskel unter einer SGLT2-Inhibitortherapie die günstigen klinischen Effekte von SGLT2-Inhibitoren bei Herzinsuffizienz erklären könnten.

Gibt es weitere günstige Effekte der SGLT2-Inhibitoren, die mit Eisenstoffwechsel zusammenhängen?

„Unsere Studienergebnisse legen nahe, dass sogar bei Eisenmangel durch die Therapie mit Empagliflozin fehlendes Eisen im Herzmuskel ergänzt und metabolisch genutzt werden kann, dass die kardiale Struktur und Funktion sich verbessern und dass die Blutbildung zunimmt, wobei sich jedoch die Eisenspeicher weiter entleeren. Das bedeutet, dass es auch eine mögliche Synergie zwischen SGLT2-Inhibitoren und Eisenersatztherapie geben könnte,“ sagt Christiane Angermann. „Ob andere günstige Effekte der SGLT2-Inhibitoren, zum Beispiel auf die Nierenfunktion, ebenfalls zumindest teilweise mit dem Eisenstoffwechsel zusammenhängen, oder ob die Eisenaufnahme über den Darm durch Empagliflozin verbessert wird, bleibt zu klären. EMPATROPISM-FE war keine große Studie, und wurde zudem post-hoc geplant. Sie diente vor allem dazu, Hypothesen zu generieren, die nun durch größere prospektive Studien weiter geprüft und bestätigt werden müssen.“ 

Angermann, C.E., Santos-Gallego, C.G., Requena-Ibanez, J.A. et al. Empagliflozin effects on iron metabolism as a possible mechanism for improved clinical outcomes in non-diabetic patients with systolic heart failure. Nat Cardiovasc Res (2023). https://doi.org/10.1038/s44161-023-00352-5 

Magnetresonanztomogramm - klassisches CINE-MRT und T2-Mapping
Kurzachsenschnitt durch das Herz. Links: Mit dem klassischen Cine-MRT werden Struktur und Funktion des Herzens quantifiziert. Mitte: Beispiel einer Sequenz mit T2* Information. Eine Abnahme der in Millisekunden gemessenen T2* Zeit entspricht dabei einer Zunahme des Eisengehaltes. Rechts: Beim T2* Mapping wird durch Farbkodierung das Ausmaß der Veränderung von T2* über die Zeit visualisiert.

Telemedizin unabhängig von Herzpumpfunktion wirksam

Die prästratifizierte Sekundärauswertung der TIM-HF2-Studie durch das DZHI am Universitätsklinikum Würzburg, das Deutsche Herzzentrum der Charité in Berlin und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zeigt, dass ein Telemonitoring auch Herzinsuffizienzpatientinnen und -patienten mit erhaltener oder nur leicht reduzierter Pumpfunktion zu Gute kommt.

Patientin mit Blutdruckmessgerät
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC

Würzburg / Berlin. Rund 64 Millionen Menschen weltweit leiden an einer Herzinsuffizienz, davon mehr als 3 Millionen in Deutschland. Eine große Hoffnung in der Behandlung dieser Volkskrankheit liegt in der Telemedizin – also der regelmäßigen Fernüberwachung von Vitalparametern, die dem medizinischen Fachpersonal eine frühere Reaktion bei Hinweisen auf Verschlechterung ermöglicht. 

Im Dezember 2020 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die telemedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche in das ambulante Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen mit aufzunehmen. „Allerdings haben bisher nur Patientinnen und Patienten mit einer deutlich reduzierten linksventrikulären Pumpfunktion diesen gesetzlichen Versorgungsanspruch, also erst, wenn die so genannte LVEF weniger als 40 Prozent beträgt,“ erläutert Dr. Fabian Kerwagen, Clinician Scientist am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und Erstautor einer neuen wegweisenden Publikation im European Journal of Heart Failure. Darin zeigt der angehende Kardiologe in Zusammenarbeit mit Prof. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung am DZHI, und Prof. Friedrich Köhler, Leiter des Arbeitsbereichs Kardiovaskuläre Telemedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC), dass Telemonitoring unabhängig von der Pumpfunktion wirksam ist. 

Hoher Bedarf an Therapien für Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion 

Neben der Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion, in der Fachsprache HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction) genannt, gibt es die Herzinsuffizienz mit leichtgradig reduzierter Pumpfunktion und Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion, kurz HFpEF für Heart Failure with preserved Ejection Fraction. „Ausgerechnet für die beiden bisher von der telemedizinischen Versorgung ausgeschlossenen Formen gibt es deutlich weniger evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten als für die HFrEF. Der Bedarf an wirksamen Therapien für diese beiden Formen ist daher besonders hoch“, bemerkt Fabian Kerwagen zu den Hintergründen seiner Analyse. 

TIM-HF2 legte Grundstein für neue Telemedizin auf Rezept

Die neuen Einsichten beruhen auf einer Sekundärauswertung der im Jahr 2018 im Journal The Lancet veröffentlichten TIM-HF2-Studie (Telemedical Interventional Management in Heart Failure II). Diese kontrollierte multizentrische Versorgungsforschungsstudie wurde unter der Leitung von Friedrich Köhler an der Charité Berlin deutschlandweit unter Einbeziehung von 1.538 Patientinnen und Patienten durchgeführt. „TIM-HF2 zeigte, dass sich im deutschen Gesundheitssystem das Leben von Herzinsuffizienzpatienten durch telemedizinische Unterstützung verlängern und die Krankenhauswiederaufnahme reduzieren lässt. Damit haben die Ergebnisse von TIM-HF2 entscheidend dazu beigetragen, dass der neue Versorgungsansatz als erstes digitales Behandlungsprogramm überhaupt in die Regelversorgung aufgenommen wurde“, berichtet der Studienleiter der TIM-HF2 Studie, Friedrich Köhler.

In der prästratifizierten Sekundärauswertung wurde untersucht wie sich die zwölfmonatige telemedizinische Betreuung auf die Zahl der ungeplanten Krankenhaustage und Todesfälle bei den drei Formen der Herzinsuffizienz auswirkt: also bei Herzinsuffizienz mit höhergradig reduzierter, mit leicht reduzierter oder mit erhaltener Pumpfunktion. Die statistische Auswertung der Studie erfolge am Institut für Biometrie und Epidemiologie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. 
 „Wir konnten zeigen, dass alle Patientinnen und Patienten von einer telemedizinischen Mitbetreuung profitieren – unabhängig von der Pumpfunktion“, konstatiert Fabian Kerwagen erfreut. 

„Das hochkomplexe Krankheitsbild benötigt eine umfassende Betreuung“

Stefan Störk, Letztautor der Studie, freut sich über dieses wichtige Ergebnis und hofft, dass die telemedizinisch unterstützte Versorgung bald für alle Herzinsuffizienz-Patientinnen und Patienten zugänglich sein wird. „Wir setzen uns schon sehr lange für diesen Versorgungsansatz ein. Denn das hochkomplexe Krankheitsbild Herzinsuffizienz benötigt eine umfassende Betreuung.“ Um drohende Entgleisungen frühzeitig zu erkennen und Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, das Leben zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern, wurde am DZHI auf dem Gelände des Universitätsklinikums Würzburg das Versorgungsprogramm HeartNetCare-HFTM entwickelt. Der Schlüssel zum Erfolg dieses Programms, das in abgewandelter Form auch in TIM-HF2 zur Anwendung kam, sind spezialisierte Herzinsuffizienzschwestern und -pfleger. 

Über die telemedizinische Mitbetreuung im Rahmen der TIM-HF2 Studie

Die Fernüberwachung bestand aus einer ärztlich geleiteten telemedizinischen Unterstützung rund um die Uhr durch das telemedizinische Zentrum (TMZ) am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Das TMZ-Team bestand aus Ärztinnen und Ärzten sowie spezialisierten Herzinsuffizienz-Pflegekräften. Alle Patientinnen und Patienten erhielten ein Telemonitoring-System für zu Hause, das ein Mobiltelefon, ein digitales Tablet und vier externe Geräte für die Messung eines Dreikanal-Elektrokardiogramms (EKG), der peripheren kapillaren Sauerstoffsättigung (SpO2), des nicht-invasiven Blutdrucks und des Körpergewichts umfasste. Nach Installation und Einweisung in das Telemonitoring-System vor Ort wurden alle Studienteilnehmenden von den spezialisierten Herzinsuffizienz-Pflegekräften geschult. Das TMZ nutzte die als Medizinprodukt zertifizierte telemedizinische Analysesoftware "Fontane". Damit wurden Patientendaten übermittelt, die elektronische Gesundheitsakte überwacht und die Kommunikation zwischen TMZ, Studienteilnehmenden und ihrer hausärztlichen oder kardiologischen Praxis durchgeführt. Die Patientendaten einschließlich der Vitalparameter und Medikation wurden täglich überprüft. Darüber hinaus kontaktierten die Pflegekräfte die Patientinnen und Patienten monatlich oder bei Bedarf auch häufiger, um ein strukturiertes Telefongespräch zu führen, das Lehr- und Überwachungselemente enthielt. Die Kombination aus Telemonitoring mit externen Geräten und bedarfsorientiertem Telefonkontakt durch spezialisierte Herzinsuffizienz-Pflegekräfte gewährleistete eine mehrdimensionale, individualisierte Behandlung inklusive emotionaler Unterstützungsfunktion, Aufdosierung von Herzinsuffizienz-Medikamenten oder Einleitung eines Krankenhausaufenthalts, falls erforderlich.
 

Patientin mit Blutdruckmessgerät
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC

Herzinsuffizienzstudie zeigt langanhaltende positive Effekte einer telemedizinischen Betreuung

Eine aktuelle Langzeitauswertung der erweiterten INH-Studie (E-INH) des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg legt nahe, dass Effekte einer auf 18 Monate begrenzten kardiologisch geführten und durch spezialisierte Pflegekräfte koordinierten telemedizinischen Überwachung und Betreuung überaus nachhaltig sind und bei Patientinnen und Patienten über zehn Jahre hinweg Überleben und Lebensqualität verbessern.

Stefan Störk bei der Schulung von HI-Nurses.
Prof. Dr. Stefan Störk leitet im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) das Department Klinische Forschung und Epidemiologie und hat hier das Fortbildungsprogramm für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte und Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz initiiert – sie bilden den Schlüssel zum Erfolg des telemedizinischen Betreuungs- und Versorgungsprogramms HeartNetCare-HF(TM). © DZHI / Daniel Peter
Christiane Angermann im Gespräch mit Patienten im DZHI
In der erweiterten Studie des Interdisziplinären Netzwerks Herzinsuffizienz (E-INH) hat Prof. Dr. Christiane Angermann mit Team die Langzeiteffekte einer 18-monatigen telemedizinischen Versorgung im HeartNetCare-HF(TM) untersucht. © DZHI / R. Kochanowski

Die Herzinsuffizienz ist der Nummer-1-Grund für Krankenhauseinweisungen in Deutschland. Mit jeder so genannten kardialen Dekompensation und der nachfolgend erforderlichen Krankenhauseinweisung verschlechtert sich die Prognose deutlich. Herzinsuffizienz, im Volksmund auch Herzschwäche genannt, ist mit einer höheren Sterblichkeit verbunden als die meisten Tumorerkrankungen. Fast 4 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Herzinsuffizienz. Die Tendenz ist in unserer alternden Gesellschaft steigend, aber sie tritt auch bei unter 50-Jährigen auf, Hauptgründe sind hier Übergewicht und Diabetes. Mehr als die Hälfte der Patientinnen und -Patienten hat fünf oder mehr Begleiterkrankungen. Die Pflege und Versorgung von Menschen mit Herzinsuffizienz ist in vielerlei Hinsicht sehr anspruchsvoll. Umso wichtiger ist eine umfassende Behandlung und Betreuung nach der Krankenhausentlassung.

HeartNetCare-HFTM: Telefonisches Monitoring, optimierte Therapie, Patientenschulung durch spezialisierte Pflegekräfte

Um das Entlassmanagement und die Nachsorge zu verbessern, wurde in Würzburg bereits im Jahr 2001 das Interdisziplinäre Netzwerk Herzinsuffizienz (INH) als Forschungs- und Versorgungsnetzwerk gegründet, das heute im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) auf dem Gelände des Universitätsklinikums Würzburg koordiniert wird. Dort hat ein kardiologisches und psychologisches Team für und mit Hochrisiko-Patientinnen und -Patienten, die wegen akuter Herzinsuffizienz stationär behandelt wurden, das telemedizinische Überwachungs- und Versorgungsprogramm HeartNetCare-HFTM entwickelt. Den Schlüssel zum Erfolg bilden im Team mit Kardiologinnen und Kardiologen spezialisierte Pflegekräfte, welche die Patientinnen und Patienten telefonisch betreuen, sie in der Selbstüberwachung von Blutdruck, Herzschlag und im Erkennen von Herzinsuffizienzzeichen wie zum Beispiel Wassereinlagerungen in den Knöcheln schulen und die Ergebnisse des Selbstmonitorings abfragen sowie die medikamentöse Therapie gemeinsam mit Hausärztinnen und -ärzten optimieren.

Die sogenannte INH-Studie hatte schon im Jahr 2012 das Potenzial einer sechsmonatigen HeartNetCare-HFTM-Anwendung in einer multizentrischen, randomisierten und kontrollierten Studie untersucht. Mit 715 Teilnehmenden war sie die bis dato größte in Deutschland durchgeführte Studie zur Versorgungsforschung bei Herzinsuffizienz. Dabei hatte sich gezeigt, dass sechs Monate nach Entlassung aus dem Krankenhaus die Sterblichkeit der mit HeartNetCare-HFTM betreuten Patientinnen und Patienten im Vergleich zur üblichen Versorgung um 38 % vermindert war. Auch die Lebensqualität und die körperliche Leistungsfähigkeit waren besser als bei den Erkrankten mit üblicher Versorgung. Sie nahmen ihre Medikamente regelmäßiger ein und betrieben eine effektivere Selbstüberwachung.

Günstige Langzeiteffekte

Wie nachhaltig der positive Effekt einer 18-monatigen Anwendung von HeartNetCare-HF sein kann, zeigt die erweiterte E-INH-Studie, die jetzt im Journal of the American College of Cardiology (JACC): Heart Failure (DOI: 10.1016/j.jchf.2022.10.016) veröffentlicht wurde. Darin hat das Studienteam unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Angermann und Prof. Dr. Stefan Störk die Langzeiteffekte von HeartNetCare-HFTM in einer erweiterten Population von 1.022 Patientinnen und Patienten geprüft, die wegen akuter Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert worden waren und vor ihrer Entlassung eine Pumpkraft des Herzens, eine so genannte Ejektionsfraktion, von unter 40 % aufwiesen. 509 Patientinnen und Patienten erhielten im Interventionsarm zusätzlich zur üblichen Versorgung die Betreuung mit HeartNetCare-HFTM, die 513 Patienten im Kontrollarm jedoch nur die übliche Versorgung. Studienvisiten fanden bei Studieneinschluss, sechs, zwölf und 18 Monate später sowie nach drei, fünf und zehn Jahren statt.

Niedrigere Mortalität und durchgehend bessere Lebensqualität

Ergebnis: Der primäre Endpunkt, die Zeit bis zum Tod und zur Rehospitalisierung, unterschied sich zwar nicht signifikant zu dem in der Kontrollgruppe ohne Intervention. Die Sterblichkeit in der früher mit HeartNetCare-HFTM betreuten Gruppe war jedoch signifikant geringer (41% vs. 47%, p=0.040 und 64% vs. 70%, p=0.019). Auch die sogenannte kardiovaskuläre Mortalität war nach 60 und 120 Monaten niedriger (25% vs. 31%, p=0.055, und 33% vs. 40%, p=0.043). Zudem traten Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz in der HeartNetCare-HF-Gruppe nach 18, 36 und 60 Monaten jeweils signifikant seltener auf (-25%, - 29% und -30%). Und bei allen Studienvisiten war die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei den mit HeartNetCare-HFTM betreuten Patientinnen und Patienten besser als bei den Studienteilnehmenden der Kontrollgruppe mit der üblichen Versorgung. Die E-INH-Studie generierte unter den Rahmenbedingungen des Deutschen Gesundheitssystems erstmals Evidenz, dass durch eine zeitlich limitierte telemedizinische Betreuung eine Lebensverlängerung und -verbesserung erreicht werden kann.

Betreuung durch multidisziplinäres Team

„Die Kombination von HeartNetCare-HFTM-Versorgungsmodulen mit sensitiveren Monitoringstrategien, deren Auswahl das individuelle Patientenrisiko berücksichtigt, sowie mit moderner Kommunikationstechnologie könnte in Zukunft die telemedizinische Versorgungsqualität von HeartNetCare-HFTM weiter verbessern. Besonders bei eingeschränkter Erreichbarkeit oder regionaler Verfügbarkeit von medizinischem Personal, bei ans Haus gebundenen Patientinnen und Patienten oder in Pandemiezeiten könnten modulare, bedarfsadaptierte Programme wie HeartNetCare-HFTM zu mehr Versorgungsgerechtigkeit und -sicherheit beitragen. Vor diesem Hintergrund hoffen wir, dass Programme wie HeartNetCare-HFTM zeitnah in die Routineversorgung herzinsuffizienter Menschen integriert werden“, kommentiert Christiane Angermann, Seniorprofessorin am DZHI, die aufsehenerregenden Ergebnisse der E-INH Studie. 

„Unsere E-INH-Studie zeigt eindrucksvoll, wie nachhaltig der Effekt einer zeitlich begrenzten multidisziplinären telemedizinisch unterstützten Intervention sein kann“, fasst Stefan Störk zusammen, Leiter des Departments Klinische Forschung und Epidemiologie am DZHI und des Fortbildungsprogramms für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte und Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz am DZHI.

Studie: Angermann CE, Sehner S, Faller H, Güder G, Morbach C, Frantz S, Wegscheider K, Ertl G, Störk ST; INH Study Group and of the Competence Network Heart Failure. Longer-Term Effects of Remote Patient Management Following Hospital Discharge After Acute Systolic Heart Failure: The Randomized E-INH Trial. JACC Heart Fail. 2023 Feb;11(2):191-206. doi: 10.1016/j.jchf.2022.10.016. Epub 2023 Jan 11. PMID: 36718715.

Stefan Störk bei der Schulung von HI-Nurses.
Prof. Dr. Stefan Störk leitet im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) das Department Klinische Forschung und Epidemiologie und hat hier das Fortbildungsprogramm für Herzinsuffizienz-Pflegekräfte und Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz initiiert – sie bilden den Schlüssel zum Erfolg des telemedizinischen Betreuungs- und Versorgungsprogramms HeartNetCare-HF(TM). © DZHI / Daniel Peter
Christiane Angermann im Gespräch mit Patienten im DZHI
In der erweiterten Studie des Interdisziplinären Netzwerks Herzinsuffizienz (E-INH) hat Prof. Dr. Christiane Angermann mit Team die Langzeiteffekte einer 18-monatigen telemedizinischen Versorgung im HeartNetCare-HF(TM) untersucht. © DZHI / R. Kochanowski

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