In Erinnerung an jüdische Ärztinnen und Ärzte
Eine vom UKW unterstützte, öffentliche Vortragsveranstaltung informierte über die Schicksale von jüdischen Ärztinnen und Ärzten in der Zeit des Nationalsozialismus.

Am 17. April 2024 wurden in Würzburg weitere elf „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Ergänzend dazu fand am Abend des Aktionstages im Hörsaal des Rudolf-Virchow-Zentrums eine Informationsveranstaltung mit dem Titel „Jüdische Ärzte in der NS-Zeit“ statt. Organisiert wurde sie vom Arbeitskreis Würzburger Stolpersteine und dem Ärztlichen Kreisverband Würzburg; das UKW und die Medizinische Fakultät der Uni Würzburg fungierten als Kooperationspartner. Begrüßt wurden die über 400 Zuhörerinnen und Zuhörer von Philip Rieger, dem Kaufmännischen Direktor des UKW. Er dankte vor allem dem Würzburger Arbeitskreis Stolpersteine für seine kontinuierliche Arbeit. Damit werde die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus dauerhaft im Alltag präsent gehalten.
Viele Ärztinnen und Ärzte unterstützten den Antisemitismus Dr. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, wies in seiner Ansprache darauf hin, dass Menschen in Gesundheitsberufen in der NS-Zeit einen großen Anteil daran hatten, die nationalsozialistische Rassenlehre, den Antisemitismus und die Diskriminierung von Menschen zu legitimieren. „Von allen Akademikergruppen waren die Ärzte am häufigsten Parteimitglieder. Sie profitierten stark vom Ausschluss jüdischer Ärzte“, so Schuster. Der Würzburger Arzt betonte: „Das Wissen um die extreme Verletzung der Menschenwürde damals bewahrt uns vor unbedachten Schritten heute. In Medizingeschichte sollten wir unseren Studierenden nicht nur vermitteln, wer wann das Penicillin entdeckte. Der medizinische Nachwuchs muss auch das NS-Euthanasieprogramm kennen, die Zwillings-Versuche von Josef Mengele und die Menschenexperimente in den Konzentrationslagern.“
Verfolgung prägte die Biografien Den Hauptvortrag des Abends übernahm die Historikerin Linda Damskis. Gestützt auf die Inhalte ihres Buches „Zerrissene Biografien – Jüdische Ärzte zwischen nationalsozialistischer Verfolgung, Emigration und Wiedergutmachung“ zeigte sie auf, wie das NS-Regime jüdischen Medizinerinnen und Medizinern ihre berufliche, soziale und wirtschaftliche Existenz raubte. Viele wurden Opfer der Deportationen in die Vernichtungslager. Andere überlebten in der Emigration, wo sie unter höchst unterschiedlichen Bedingungen einen beruflichen Neuanfang suchten. Nur die wenigsten kehrten in die frühere Heimat zurück. Anhand von ausgewählten Lebensläufen zeichnete Damskis nach, dass sich die Verfolgung gezielt gegen die Berufsgruppe der jüdischen Ärzte richtete und in jedem Fall Auswirkungen auf das Lebensganze entfaltete. Die Referentin ließ die Geschichte jüdischer Ärzte nicht in der NS-Zeit enden, sondern blickte über die Epochenzäsur von 1945 hinaus bis hin zu späteren Auseinandersetzungen um Entschädigung für das erlittene Unrecht. Obwohl 1933 weniger als ein Prozent der Deutschen Juden waren, betrug ihr Anteil bei Ärztinnen und Ärzten mehr als zehn Prozent. In einigen medizinischen Fachgebieten war der Anteil an Jüdinnen und Juden besonders hoch. So waren etwa die Hälfte aller Kinderärztinnen und -ärzte sowie mehr als ein Viertel der Hautärztinnen und -ärzte jüdischen Glaubens. Schon unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erfuhren sie Repressalien. Wie schwierig ein möglichst vollständiges Erinnern an diese Personen ist, verdeutlichten Prof. Dr. Eva-Bettina Bröcker und Prof. Dr. Wolfgang Schmitt-Buxbaum. Die ehemalige Direktorin der Würzburger Universitäts-Hautklinik und der langjährig am Würzburger Juliusspital tätige Röntgenologe widmen sich dieser medizinhistorischen Aufgabe seit einigen Jahren und veröffentlichten ihre Ergebnisse 2022 in einem gemeinsamen Buch. Sie berichteten, dass bislang als Informationsgrundlage über die Betroffenen oft die Mitgliederlisten der medizinischen Fachgesellschaften herangezogen werden. „Da aber viele jüdische Ärztinnen und Ärzte aus ihrer Fachgesellschaft austraten oder zum Austritt gezwungen wurden, kann man sich nicht allein auf diese Dateien stützen“, schilderte Bröcker. Als weitere Quelle können nach ihren Worten die Reichs-Medizinal-Kalender (RMK) dienen. Das ab dem 19. Jh. jährlich aktualisierte Nachschlagewerk erfasste alle approbierten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands mit ihrem jeweiligen Fachgebiet. „Im Jahr 1937 wurde befohlen, jüdische Ärztinnen und Ärzte im RMK mit einem graphischen Zeichen zu kennzeichnen. Das infame Ziel dabei war, all diesen im Folgejahr ihre Approbation und damit die Möglichkeit zur Berufsausübung entziehen zu können, was dann 1938 auch geschah“, erläuterte Schmitt-Buxbaum. Der RMK von 1937 listete 4264 noch in Deutschland tätige jüdische Ärztinnen und Ärzte auf. Beim Vergleich mit Artikeln und Büchern aus den Jahren 2000 bis 2020 fand das Autorenduo 960 ärztliche Kolleginnen und Kollegen, die in den bisher publizierten Gedenklisten noch fehlten. Deren Namen und Fachgebiete sind im Anhang ihres Buchs „Von Dr. Abel bis Dr. Zwirn – das schwierige Gedenken an jüdische Ärzte und Ärztinnen im Nationalsozialismus“ aufgeführt.

„In Medizingeschichte sollten wir unseren Studierenden nicht nur vermitteln, wer wann das Penicillin entdeckte. Der medizinische Nachwuchs muss auch das NS-Euthanasieprogramm kennen, die Zwillings-Versuche von Josef Mengele und die Menschenexperimente in den Konzentrationslagern.“
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
Lebenswege von lokalen jüdischen Ärztinnen und Ärzten Eine lokale Perspektive brachten Ingrid Sontag und Elke Wagner vom Arbeitskreis Würzburger Stolpersteine ein, indem sie Rechercheergebnisse zu jüdischen Ärztinnen und Ärzten in Würzburg präsentierten. „Was die Krankenhäuser der Stadt angeht, war natürlich die Tätigkeit von jüdischen Ärzten im Israelitischen Kranken- und Pfründnerhaus in der Konradstraße bedeutend, aber auch im Luitpold-Krankenhaus, dem späteren Uniklinikum, arbeiteten viele jüdische Professoren“, schilderte Sontag. Als Fallbeispiele beschrieb Wagner die Schicksale von drei Würzburger Ärzten: Hofrat Dr. Max Pretzfelder wurde der Opfer der Shoa, Heinrich Oppenheimer überlebte, weil er eine nicht-jüdische Ehefrau hatte, während Max Strauss, der Inhaber der größten Kassenpraxis Würzburgs, massiven Repressalien ausgesetzt war und – wie die meisten – emigrieren musste. Die Referentinnen stellten ein Handout zu Verfügung, das in knapper Form die Lebenswege von etwa 40 lokalen Ärztinnen und Ärzten aufzeigt, die ihre Tätigkeit oder Ausbildung zwischen 1933 und 1938 abbrechen mussten. Klara-Oppenheimer-Route als Element der Erinnerungskultur Die Veranstaltung war zudem eine Gelegenheit, die von der Klara-Oppenheimer-Schule gemeinsam mit dem Arbeitskreis Würzburger Stolpersteine und dem Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken neu entwickelte Klara-Oppenheimer-Route durch die Würzburger Innenstadt der Öffentlichkeit vorzustellen. Laut Dr. Christina Burger vom Arbeitskreis zeichnet das Projekt die Lebensstationen der Namensgeberin der Schule nach. Die im Jahr 1867 geborene Klara Oppenheimer gehörte zu den ersten vier Studentinnen, die sich an der hiesigen Universität einschrieben, und war 1918 die erste Ärztin, die sich in Würzburg niederließ. Oppenheimer setzte sich für die gleichberechtigte Bildung und Berufstätigkeit für Männer und Frauen ein und leistete hier Pionierarbeit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 war sie in ihrer zweiten Lebenshälfte als Jüdin Denunziation, Entrechtung und Enteignung ausgesetzt. 1943 wurde sie in Theresienstadt ermordet. „Die Route soll vor allem junge Menschen ansprechen und den historischen Kontext der Zeit des Nationalsozialismus vermitteln“, schilderte Christoph Zobel, Lehrer an der Klara-Oppenheimer-Schule. Der Audiowalk nutzt dazu analoge und digitale Medien.