Mit Bachelor in den Kreißsaal
Uni statt Berufsfachschule: Seit Herbst 2022 absolvieren werdende Hebammen in Würzburg ein Studium anstelle einer schulischen Ausbildung.
Prof. Ulrich Pecks
Leiter der Geburtshilfe am UKW
Bereits seit mehr als 200 Jahren lernen Frauen in Würzburg, wie sie Schwangere, Mütter und Neugeborene rund um die Geburt bestmöglich unterstützen und begleiten. Ein Ort mit langer Tradition, der sich mit der bundesweiten Einführung des Hebammenstudiums den modernen Anforderungen an das Berufsbild stellt.
Für Prof. Dr. Ulrich Pecks, Leiter der Geburtshilfe am Uniklinikum Würzburg, bringt die Akademisierung einen großen Vorteil. Hebammen erhielten das Handwerkszeug, wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre tägliche Arbeit zu nutzen, und würden gestärkt im fachlichen Austausch mit ärztlichen Kolleginnen und Kollegen: „Sie sind im Team gleichberechtigt in der Betreuung der Schwangeren, können ihren Blickwinkel stärker vertreten und studienbasierte Gesichtspunkte einbringen.“
Das Beste für Mutter und Kind
Auch Hebamme Mira Pflanz, die den Studiengang leitet, ist überzeugt, dass das Studium viele Vorteile bietet, wenngleich es auch vorher nicht an Kompetenz gemangelt habe. „Es ist unstrittig, dass die Ausbildung in Deutschland und auch hier in Würzburg sehr hochwertig in ihrer Qualität war“, erklärt sie. „Das Studium zielt darauf ab, Familien in dieser besonderen Lebensphase nach neuesten Erkenntnissen zu unterstützen und neue Wege in der Betreuung der Frauen zu entwickeln. Dazu muss die Hebamme als zentrale Akteurin die Möglichkeit haben, sich diese Informationen zu beschaffen.“ Das wissenschaftliche Arbeiten gehört daher zu den Schwerpunkten im Studium.
Denn in so manchem Bereich der Hebammentätigkeit wirft die tägliche Arbeit neue Fragen auf. Dammschutz bei der Geburt – ja oder nein? Welche messbaren Vorteile bietet eine 1 : 1-Betreuung während der Geburt? Es sind zwei Beispiele, bei denen die gewonnenen Erkenntnisse die Praxis vorangebracht haben. „Es gibt aber auch zukünftig viele Themen, die es verdienen, wissenschaftlich beleuchtet zu werden“, findet Prof. Dr. Ulrich Pecks, der die Professur „Maternale Gesundheit und Hebammenwissenschaft“ innehat. Das Studium wird dazu beitragen, dass studierte Hebammen nach ihrem Abschluss mit wissenschaftlichem Blick gesicherte Antworten finden.
Die Hebammentätigkeit hat lange Tradition. Das Pinard-Rohr zum Abhören der kindlichen Herztöne wurde vor 130 Jahren entwickelt.
Heute sitzen Studierende der Hebammenwissenschaft im Hörsaal.
Neue berufliche Möglichkeiten
Mit der Akademisierung ist auch die Hoffnung verbunden, dass künftig mehr junge Menschen in den Beruf streben. Dem UKW mangele es nicht an Bewerberinnen auf Hebammenstellen, sagt Prof. Dr. Pecks, doch sehe das deutschlandweit in der Fläche teils anders aus. Dass der beruflichen Laufbahn mehr Möglichkeiten gegeben werden, dürfte für Interessierte ein weiteres Argument für das Studium sein. Denn mit dem „Bachelor of Science“ können die Absolventinnen und Absolventen sich zum Beispiel für einen Master einschreiben.
Apropos Absolventen: Traditionell sind Männer in diesem Beruf stark unterrepräsentiert. Mira Pflanz und Prof. Dr. Ulrich Pecks sind sich einig, dass sich mehr Diversität positiv auswirken kann. In anderen europäischen Ländern sei der Männeranteil höher. „Die Kernkompetenzen, die eine Hebamme ausmachen, sind nicht an das biologische Geschlecht gebunden“, sagt Mira Pflanz.
Virtueller Kreißsaal geplant
Zwar ist der Studiengang erst vor anderthalb Jahren gestartet, doch ist das Leitungsteam bereits jetzt dabei, das Angebot zu optimieren. So soll beispielsweise ein virtueller Kreißsaal für Hebammen- und Medizinstudierende in die Ausbildung integriert werden. Mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille können sie dann in einer realitätsnahen Situation agieren. „Das bietet sich zum Beispiel für Geburten aus der Beckenendlage an. Sie treten nur bei drei Prozent aller Frauen auf und müssen daher durch Simulationen trainiert werden“, erklärt Prof. Dr. Pecks. Aktuell evaluiert sein Team, welche technischen Lösungen es dafür gibt und wie sich diese Trainingsumgebung ideal umsetzen lässt.
Auch einen Ausbau der Kooperationen mit freiberuflichen Hebammen und hebammengeleiteten Einrichtungen strebt er an. „Es ist wichtig, die verschiedenen Facetten der Geburtshilfe praktisch zu vermitteln“, sagt Prof. Dr. Pecks. Bereits jetzt können Studierende im Rahmen von zwei Praxismodulen im außerklinischen Bereich Erfahrungen sammeln. Von der Schwangerenbetreuung über die Geburt bis hin zum Wochenbett: Die Hebammen von morgen lernen die Vielfalt des Berufs schon heute kennen.
Das Hebammenstudium an der Uni Würzburg
In sieben Semestern eignen sich die Studierenden nicht nur Wissen zur Hebammentätigkeit und wissenschaftliche Kompetenzen an. Sozial- und gesundheitswissenschaftliche Module stehen genauso im Fokus wie Medizin und Naturwissenschaften. Die Studierenden diskutieren ethische Fragen und üben die Kommunikation mit Patientinnen. Der Studiengang ist an der Julius-Maximilians-Universität angesiedelt. Voraussetzung ist ein Studienvertrag mit einer Praxiseinrichtung. Als solche ermöglicht das UKW 20 Lernenden, den praktischen Teil des dualen Studiums, der 2.200 Stunden umfasst, in der Frauenklinik zu absolvieren. Im Unterricht werden die Studierenden auf Situationen, die sie im Kontakt mit Patientinnen erwarten, vorbereitet. Das Klinikum Würzburg Mitte stellt drei weitere Plätze. Die Bewerbungsphase für den Start im Wintersemester 2024/25 ist bereits abgeschlossen.