Julia Reusch und Isabell Wagenhäuser

Medizinstudentinnen im zehnten Semester

Mit Leidenschaft und Lebensmut gegen starre Rollenbilder

Julia Reusch (23) und Isabell Wagenhäuser (22) sind Medizinstudentinnen im zehnten Semester. Neben ihrem Studium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg arbeiten sie an ihrem promotionsvorbereitenden Projekt, der CoVacSer-Studie, einer Kooperation der Zentralen Einrichtung für Krankenhaushygiene und Antimicrobial Stewardship und der Medizinischen Klinik I am Uniklinikum Würzburg.

Was wolltet Ihr mal werden? Und was ist jetzt Euer Ziel?

Julia: Früher wollte ich Gerichtsmedizinerin werden. Ich fand Kriminalistik, aber vor allem auch Biologie und Medizin schon immer total interessant. Das hätte ich beides in der Gerichtsmedizin verbinden können. Doch inzwischen bin ich eher bei den Lebenden. Ich mag meine Patientinnen und Patienten, ich liebe den Alltag auf Station und vor allem am OP-Tisch. Ich möchte in die Chirurgie, aber das lässt sich ja später auch weiterhin mit Forschung kombinieren.

Isabell: Ich arbeite zwar gern im klinischen Kontext, bin aber tatsächlich noch ein bisschen mehr in der Forschung verwurzelt. Deshalb habe ich auch den vom Elitenetzwerk Bayern geförderten Zusatzstudiengang Translationale Medizin absolviert, der dann auch nach dem Medizinstudium noch mit einem Master beendet werden kann. Und die Translation definiert sich ja genau aus dem Transfer “from bench to bedside”. Das heißt, vielversprechende Erkenntnisse aus der Forschung finden eine direkte Anwendung in der Klinik und klinische Fragestellungen werden im Forschungslabor versucht zu beantworten. Ich tüftele also nicht allein im Labor vor mich hin, sondern kann dann auch die Forschungsfrage direkt auf die Arbeit am Patientenbett projizieren. Einen konkreten Berufswunsch hatte ich als Kind nicht, ich war aber schon immer sehr fasziniert von den Naturwissenschaften. Und davon habe ich in der Medizin die ganz große Bandbreite.

Wie seid Ihr zu Eurem aktuellen Forschungsprojekt gekommen?

Isabell: Mein Weg in die CoVacSer-Studie ergab sich ausgehend von einem Forschungspraktikum, das ich im Februar 2021 im Rahmen des Zusatzstudiums machen durfte.

Julia: Ich hatte im fünften Semester meine Mikrobiologieprüfung, und Dr. Manuel Krone war damals mein Prüfer. Anscheinend lief es recht gut, sodass er mich am Ende gefragt hat, ob ich denn schon eine Doktorarbeit habe. Hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Und so kam ich zum Team. 

Ihr kanntet Euch vorher gar nicht?

Julia: Das ist lustig. Wir studieren seit dem ersten Semester zusammen, haben uns aber erst hier im Labor kennengelernt. Am Anfang dachten wir, wir verstehen uns gar nicht, weil wir vom Charakter her total unterschiedlich sind, aber wir sind uns eigentlich fast immer einig und ergänzen uns auch sehr gut. Wahrscheinlich funktioniert es so gut, weil wir beide recht leistungsorientiert und ehrgeizig sind.

Isabell: Es ist immer ein Konsens, den wir beide in das Studienteam einbringen. Wir funktionieren im Team wunderbar. Wäre das nicht so, hätten wir das in den letzten eineinhalb Jahren nicht parallel zum Studium stemmen können.

Woran forscht Ihr?

Isabell: Wir haben zu viert, gemeinsam mit dem Kardiologen Dr. Nils Petri und dem Mikrobiologen Dr. Manuel Krone die CoVacSer-Studie ins Leben gerufen, wobei mittlerweile das feste Studienteam um die Doktorandin Juliane Mees und dem Bioinformatiker Dr. Alexander Gabel gewachsen ist. Die CoVacSer-Studie untersucht seit September 2021 in einer Kohorte von circa 1.800 Mitarbeitenden des Gesundheitswesens im Langzeitverlauf die zelluläre und humorale Immunität nach Covid-19 Impfung und/oder SARS-CoV-2 Infektion im direkten Zusammenhang mit Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit.

Und was habt ihr bislang herausgefunden?

Julia: Wir haben unter anderem Faktoren analysiert, die die Antikörperkonzentration nach einer Corona-Infektion oder Covid-19-Impfung beeinflussen. Im Vergleich zu nur Genesenen haben zusätzlich geimpfte Personen einen höheren Antikörperspiegel. Wir haben aber auch beobachtet, dass die Titer nach der zweiten Impfung mit der Zeit deutlich abnehmen, vor allem bei Rauchern und im höheren Lebensalter. Die Querschnittsanalyse durfte ich im Journal of Medical Virology veröffentlichen.

Isabell: Und ich wiederum durfte als Erstautorin im European Respiratory Journal die erste groß angelegte Evaluation der so genannten Co-Administration veröffentlichen. Wichtigstes Ergebnis: Die gleichzeitige Verabreichung von Covid-19 Impfung und saisonaler Grippeimpfung wird gut vertragen. Diese Arbeit und eine klinische Performance-Analyse von SARS-CoV-2-Antigenschnelltests hat die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie sogar jeweils als Paper of the Month ausgezeichnet. In einer weiteren Studie haben wir untersucht, ob die an Omikron-Varianten angepassten, bivalenten Covid-19-Impfstoffe genauso verträglich sind. Unsere Erkenntnis, dass bivalente Impfstoffe häufiger Nebenwirkungen als die ursprünglichen monovalenten erzeugen, konnten wir im Journal Clinical Microbiology and Infection veröffentlichen. Viele weitere spannende Analysen sind auch gerade in Arbeit, zum Beispiel der Zusammenhang zwischen mentaler Gesundheit, Schlaf und der Immunogenität der Covid-19 Impfung.

Das ist nicht selbstverständlich, dass man als Studentin, die neben dem Studium ohne Freisemester forscht, eine Erstautorenschaft übernehmen darf, oder?

Isabell: Das ist definitiv alles andere als selbstverständlich. Bei vielen Kommilitonen läuft es deutlich hierarchischer ab, sie arbeiten oft ihre vorgegebenen Versuche ab und haben Glück, wenn es zu einer Publikation oder einer Erstautorenschaft kommt. Bei uns im Team arbeiten wir auf Augenhöhe, obwohl wir beide natürlich von der Qualifikation her viel weniger mitbringen und noch studieren. Wir werden sehr gefördert, außergewöhnlich gut betreut und dürfen sehr viel in Eigenverantwortung arbeiten.

Julia: Wir haben vor allem eine richtig gute Teamdynamik, jeder wird wahr- und ernst genommen, jeder darf und soll seine Meinung sagen und Vorschläge machen. Wir erhalten viel Support von unseren beiden Projektleitern, sodass wir uns, gerade auch was Forschung und Wissenschaft angeht, deutlich weiterentwickeln und schon einiges an Erfahrung in diesem Bereich, zum Beispiel auch auf verschiedenen nationalen und internationalen Kongressen, sammeln konnten.

Isabell: Uns wird enorm viel Vertrauen entgegengebracht. Und das ist meines Erachtens der Schlüssel: Wenn das Potential gesehen wird und die Arbeit wertgeschätzt wird, dann macht alles viel mehr Spaß und man kann viel erreichen.

Wie wichtig ist ein gutes Team?

Isabell: Es ist extrem wichtig, dass das persönliche Miteinander im Team funktioniert. Es bringt nichts, wenn man zehn Genies zusammensetzt, die nicht miteinander kommunizieren. Ellenbogen raus, das funktioniert nicht.

Julia: Das macht auch nicht glücklich.

Isabell: Manchmal ist monotone Arbeit wie stundenlanges Pipettieren notwendig, was aber Teil der Arbeit ist, und dafür bekommen wir auch viel zurück.

Julia: Es ist ein Geben und Nehmen. Und man muss Eigeninitiative zeigen. Das ist auch der Klassiker als Student auf Station: Ich nehme gern morgens erstmal eine Stunde Blut ab, wenn ich danach mit in den OP kann oder etwas erklärt bekomme.

In unserer Serie #WomenInScience geht es ja um Chancengleichheit. Wie sind Eure bisherigen Erfahrungen in der Schule, im Studium und bei der Arbeit?

Julia: Ich würde sagen, ich bin was das angeht sehr offen erzogen worden. Dieses veraltete Rollenbild von der Frau daheim am Herd hat nie eine Rolle gespielt, und ich habe auch bislang keine Benachteiligungen in der Schule, Uni oder bei der Arbeit erfahren. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, bei allem, was ich machen wollte. Ich habe mir eigentlich nie Sorgen gemacht, dass es als Frau schwieriger werden wird, Karriere zu machen. Aber derzeit höre ich von allen Seiten: Überlege es Dir gut mit der Chirurgie. Es sei nicht einfach als Frau, gerade operative Fächer sind oft noch männlich dominiert. Man müsse im Vergleich zu den Männern als Frau mehr leisten, um anerkannt zu werden. Und wenn man dann noch eine Familie gründen möchte, wird es mitunter auch zeitlich schwierig.

Isabell: Generell herrscht in der medizinischen Wissenschaft nach wie vor ein Ungleichgewicht. Im Studium haben wir noch einen Frauenüberhang, doch dann siebt es sich aus. Die Führungspositionen und Chefarztstellen sind nach wie vor fast durchgehend von Männern besetzt.

Julia: Man sieht aber auch langsam einen Wandel, viele Assistenzarzt-Stellen sind von Frauen besetzt. Trotzdem ist das Berufsfeld noch immer eher konservativ, in manchen Fächern mehr, in manchen weniger. Da müssen die Kliniken in ihren Strukturen noch offener werden, damit Frauen mehr Chancen auf Führungspositionen haben.

Isabell: Und die Patientinnen und Patienten leben oft noch in den alten Rollenbildern: Wenn ich einen Kasack trage, werde ich automatisch für eine Pflegefachkraft gehalten, wohingegen meine männlichen Kommilitonen direkt mit „Herr Doktor“ angesprochen werden.

 

Seid Ihr für die Quote?

Isabell: Die Quote ist sowohl für Frauen als auch für Männer ein schwieriges Thema und gewiss nicht der alleinige Weg und das einzige Mittel, um einen längst überfälligen Strukturwandel anzustoßen. Ich möchte definitiv nicht aufgrund einer Quote eingestellt werden, sondern aufgrund meiner Qualifikation, meiner Performance und meiner Stärken. Man ist leider schnell die unliebsame Quotenfrau, unabhängig von der Qualifikation.

Julia: Wir wünschen uns, und hoffen sehr, dass in Zukunft weniger auf den Genderaspekt, sondern vielmehr auf die Leistung und das Können geachtet wird.

Wie können Frauen in der Medizin und Wissenschaft sichtbarer werden?

Isabell: Es braucht role models! Zum Beispiel Frauen als Oberärztinnen, Chefärztinnen oder in anderen Führungspositionen, die fördern und fordern. Wir durften ja schon an einigen Kongressen teilnehmen und da konnten wir gut beobachten, wie Männer und Frauen auftreten und wie wichtig es ist, wie man sich präsentiert.

Was zieht Ihr aus dieser Beobachtungsstudie?

Julia: Es ist wichtig, selbstbewusst aufzutreten und die eigene Kompetenz zu präsentieren, ohne dabei arrogant zu wirken. So funktioniert dann auch wissenschaftlicher Austausch und Zusammenarbeit auf Augenhöhe - unabhängig von Rollenbildern und dem Geschlecht.

Habt ihr ein Power-Outfit?

Julia: Wir sind ganz klar Team Hosenanzug.

Isabell: Ja, Hosenanzug, gern auch mit Farbe.

Wie sieht es mit Netzwerken aus? Können das Männer besser?

Isabell: Wir konnten beobachten, dass Männer oft schon im Studium das Talent haben, sich mit Beziehungen einfachere Wege zu verschaffen. Sie trauen sich, sich mehr aus dem Fenster zu lehnen, besser zu verhandeln und zu netzwerken und sichern sich schon früh Plätze für die weitere Ausbildung.

Julia: Vielleicht liegt es aber auch weniger am Geschlecht, sondern mehr daran, dass wir beide keine Arztkinder sind. Das spielt auch eine große Rolle, aus welchem Haus man kommt. Uns fehlen einfach noch die Connections im medizinischen Bereich. Aber auch hier gilt wieder unsere Devise: Wir möchten nicht über Beziehungen, sondern aufgrund unserer Leistung vorankommen. Und das funktioniert ja bisher auch gut. Wahrscheinlich machen wir Frauen uns darüber aber auch wieder viel zu viele Gedanken. 

Isabell: Netzwerken ist aber auf jeden Fall wichtig. Das habe ich auch im BayFiD-Programm des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales im Jahrgang 2019-21 gelernt: Frauen müssen sich einfach trauen, die Netzwerke in Anspruch zu nehmen und eigene Netzwerke zu bilden.

 

Möchtet Ihr später eine Familie gründen?

Julia: Wir haben ja noch viel Zeit. Die Karriere ist mir derzeit definitiv wichtiger, aber man weiß ja nicht, was da noch alles kommt.

Isabell: Mal sehen, was die Zukunft bringt. Wir haben ja erst vor fünf Jahren Abitur gemacht, sind zielstrebig ins Studium rein und somit auch noch relativ jung am Studienende. Wenn es sich ergibt, dann sehr gern. Aber ich bin mir bewusst, dass das eine Herausforderung ist - auch wenn man vielleicht in der Forschung etwas mehr Flexibilität bei der Zeiteinteilung hat als in der reinen Patientenversorgung. Ich bin kein Fan davon, die alten Rollenbilder umzudrehen, nach dem Motto „ich bin die Karrierefrau, du bleibst zu Hause“. Dann haben wir die Rollenbilder vertauscht, aber nichts gewonnen. Ideal wäre es, wenn sich beide Elternteile ein bisschen zurücknehmen, flexibel bleiben und gleichwertig die Chance haben, beruflich voranzukommen und die Kinder zu betreuen.

Eure Tipps für den wissenschaftlichen Nachwuchs beziehungsweise Gleichgesinnte?

Julia: Wichtig ist, dass man die Leidenschaft für etwas findet, was man machen möchte. Dann ist es auch nicht schlimm, mal mehr Zeit und Arbeit zu investieren. 

Isabell: Und wenn man seine Leidenschaft findet, hat man auch die Energie, gegen die starren Rollenbilder anzukämpfen. Ganz wichtig ist, dass man sich traut, mutig zu sein und Selbstvertrauen in die eigenen Kompetenzen hat. 

Julia: Ja, weniger von diesen Gedanken „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“ und stattdessen mehr von „Ich versuche es, ich kann das, ich habe schon so viel geschafft“. Auch wenn man noch jung ist, darf man durchaus stolz auf das sein, was man schon geschafft hat. Einfach machen, bevor man es bereut, es gar nicht erst versucht zu haben. 

Isabell: Man darf auch Fehler machen. Wir machen ständig Fehler. Das gehört dazu und ist auch gut so. Dann diskutiert man darüber und lernt bestenfalls daraus. Das ist Wissenschaft: trial and error. Es bringt manchmal Frust, aber auch viel Spaß. 

Julia: Und geht mit offenen Augen durch die Welt! Es steht immer irgendwo eine Tür offen.

Wenn Ihr drei Wünsche frei hättet, welche wären die?

Julia: So banal es klingt, aber ganz vorne steht auf jeden Fall Gesundheit. Das wird einem vor allem immer wieder bewusst, wenn man Patientinnen oder Patienten sieht, die genauso alt sind wie wir, und teilweise wirklich schlimme Erkrankungen durchmachen müssen. Zweitens wünsche ich mir gute Karriereaussichten, bei denen nicht auf mein Geschlecht, sondern auf meine Leistung geachtet wird. Und schließlich Zufriedenheit, einen schönen Ausgleich abseits vom Beruf, zum Beispiel in der Familie.

Isabell: Ich wünsche mir Chancengleichheit! Dass man als der Mensch gesehen wird, der man ist, mit all seinen Kompetenzen, nicht nur fachlich, sondern auch die soft skills, wie man zum Beispiel im Team interagiert - und das unabhängig von geschlechtsspezifischen Rollenbildern. Dann wünsche ich mir Offenheit! Dass wir einander offen und ohne Vorurteile begegnen. Und drittens eine gute Kommunikation. Diese drei Wünsche betreffen alle Ebenen, im Beruflichen wie im Privaten – der Umgang miteinander ist so wichtig!