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Würzburg. Laut Wikipedia sind Senkrechtstarter Flugzeuge, Drohnen oder Raketen, die keine Startbahn, also keinen Anlauf benötigen, um abzuheben. Die Thieme Gruppe würdigt im Rahmen ihres Management Awards junge Führungskräfte, die eine außergewöhnliche Karriere vorweisen, als „Senkrechtstarter*in“. In diesem Jahr darf sich Dr. Nora Schorscher, Anästhesistin am Uniklinikum Würzburg (UKW), über die Auszeichnung freuen. In der Tat hat die 37-Jährige als Leiterin des Pilotprojekts „Tele-Intensivmedizin in Bayern“ einen echten Senkrechtstart hingelegt. Anders ausgedrückt: Sie hat nach jahrelangem Leerlauf der Tele-Intensivmedizin einen Raketenstart verpasst.
Barrieren abbauen und Expertise aus Maximalversorgung flächenweit zur Verfügung stellen
Das Bayerische Wissenschaftsministerium hatte bereits im Jahr 2015 den sechs bayerischen Universitätskliniken Fördergelder für ein teleintensivmedizinisches Pilotprojekt bewilligt, um die Sterblichkeit und Aufenthaltsdauer von Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen und die Behandlungskosten zu reduzieren. Ziel war die Schaffung teleintensivmedizinischer Netzwerkstrukturen, sodass periphere Krankenhäuser von der intensivmedizinischen Expertise der Kolleginnen und Kollegen in den Universitätskliniken profitieren und in virtuellen Visiten gemeinsam über die weitere Behandlung entschieden werden kann. Doch keines der damals vorhandenen Telemedizin-Systeme erfüllte die Anforderungen, weshalb das Projekt nicht realisierbar schien. Bis Prof. Dr. Patrick Meybohm, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des UKW, im Jahr 2021 Nora Schorscher ins Boot holte.
Mobiler Teleintensivwagen mit zahlreichen Features für Partnerkrankenhäuser
Die gebürtige Fränkin, die erst vier Jahre zuvor ans UKW gekommen war, fühlte sich überrumpelt, bezweifelte, dass sie die Richtige für das Projekt sei. Doch mit ihrem Mut, ihrer Tatkraft und Empathie war sie letztendlich goldrichtig. Innerhalb eines Jahres hatte sie mit ihrem Team aus Fachleuten aus der Intensivmedizin und dem Servicezentrum Medizin-Informatik (SMI) den Prototyp eines mobilen Wagens für die intensivmedizinische Tele-Visite konzipiert. Namentlich erwähnen möchte Nora Schorscher hier vor allem ihre Kollegen Maximilian Göpfert, Daniel Röder, Jürgen Brugger, Axel Steinke sowie Patrick Meybohm und Helmut Greger als Leiter des SMI.
Und so funktioniert er: Der mobile Teleintensivwagen, ausgestattet mit mehreren hochauflösenden Kameras, Dokumentenscannern und vielen weiteren Features, steht im jeweiligen Partnerkrankenhaus. Die Ärztinnen und Ärzte des Universitätsklinikums schalten sich per Zoom in die Visite ein und erhalten einen umfassenden Eindruck vom Zustand der Patientin oder des Patienten, so dass sie mit ihrem Spezialwissen das Partnerkrankenhaus bei der weiteren Versorgung beraten können. Mit einer Augmented-Reality-Brille können die zugeschalteten Klinikerinnen und Kliniker die Patientinnen und Patienten mit den Augen der anwesenden Kolleginnen und Kollegen im lokalen Krankenhaus sehen, sogar die Kamera auf dem Wagen steuern und mit 30-fachem Zoom in bestimmte Bereiche fahren. Gleichzeitig werden die hohen Anforderungen des deutschen Datenschutzes erfüllt, da die Daten im Partnerkrankenhaus verbleiben.
Nora Schorscher hatte zwischen ihrer täglichen Arbeit im OP, auf der Intensivstation, im Notarztwagen und im Intensivtransportwagen – eben der Vielfalt, die sie in der Anästhesie so liebt – einige Herausforderungen zu meistern, bis der mobile Wagen alle Anforderungen und Voraussetzungen für einen reibungslosen Einsatz erfüllte. „Zunächst galt es, die Frage zu beantworten: Was brauchen wir Ärztinnen und Ärzte aus den Unikliniken, um die Patientinnen und Patienten, die im Partnerkrankenhaus liegen, medizinisch zu beurteilen? Wie können wir das technisch umsetzen, auch im Hinblick auf Datenschutz und medizinische Sicherheit? Und dann galt es Barrieren zu überwinden und die Kolleginnen und Kollegen in den umliegenden Krankenhäusern zu überzeugen“, erzählt Nora Schorscher.
Von der internationalen Diplomatie zurück zum Patienten
Hier kommt der Medizinerin ihr diplomatisches Geschick zugute. Bevor sie 2017 ans Uniklinikum kam, studierte Nora Schorscher zwei Jahre lang an der Diplomatischen Akademie in Wien. „Ich wollte zwischenzeitlich zur Weltgesundheitsorganisation WHO oder in die Gesundheitspolitik gehen. Aber die Arbeit am Patienten und vor allem die Abwechslung in der Anästhesie mit den entsprechenden Adrenalinschüben fehlten mir zu sehr.“ Ärztin zu werden war ihr Traum, seit sie mit zwölf Jahren ein Buch über das Ebola-Virus gelesen hatte. Ihr Medizinstudium absolvierte sie am Imperial College in London, wo sie auch ihre Facharztausbildung begann und einen Bachelor in Health Management ablegte. Schon ihr Abitur am United World College (UWC) in Norwegen war international und auf interkulturellen Austausch ausgelegt. „An unserer Schule gab es 89 Nationalitäten – vom Straßenkind aus Thailand bis zur Prinzessin aus Uganda. Ausgewählt wurde nicht nach finanziellem Hintergrund, sondern nach Potenzial und Engagement“, so Schorscher. An sozialem Engagement mangelte es der jungen Frau aus dem 120-Seelen-Ort in den Haßbergen nicht. Als Jugendliche arbeitete sie ehrenamtlich beim Roten Kreuz, war Schulsanitäterin, gründete eine Nachhilfegruppe und baute ein Seelsorge-System für Mobbing-Opfer auf. Im vergangenen Jahr war sie sechs Wochen für „Ärzte ohne Grenzen“ im Südsudan.
Verbesserung der Patientenversorgung und Kommunikation zwischen Kliniken
Mit ihrer sympathischen Professionalität - oder wie Nora Schorscher sagt: mit höflicher, freundlichen Bestimmtheit - konnte sie nicht nur alle bayerischen Unikliniken vom Projekt überzeugen, sondern auch zahlreiche periphere Krankenhäuser ans Netzwerk anbinden, trotz anfänglicher Skepsis. Inzwischen hat jede bayerische Uniklinik drei bis fünf Partnerkrankenhäuser mit einem weiterentwickelten, patentierten Teleintensivwagen ausgestattet, das UKW sogar zehn. Ganz nebenbei hat Nora Schorscher nicht nur einzelnen Patientinnen und Patienten geholfen, sondern auch zur Verbesserung des Gesundheitssystem beigetragen. Es gibt inzwischen bereits einige Anfragen aus anderen Bundesländern.
„Die Praxis hat gezeigt, dass wir mit dem telemedizinischen Vier-Augen-Prinzip und dem zusätzlichen Blickwinkel von Expertinnen und Experten aus der Uniklinik, zahlreiche unnötige Verlegungen von Intensivpatientinnen und -patienten verhindern konnten“, sagt Nora Schorscher. Das mache das Projekt so brillant: „Mit wenig Aufwand und kollegialer Zusammenarbeit die Patientenversorgung verbessern! Barrieren wurden abgebaut, sowohl in der Anwendung als auch bei Finanzierungsfragen. Aufgrund der steigenden Nachfrage wurde die Produktion des Teleintensivwagens inzwischen ausgelagert. Ungeklärt sind derzeit noch die Abrechnungskosten für die Visite. Nora Schorscher bleibt am Ball. Das Motto der Senkrechtstarterin: „Es geht immer irgendwo eine Tür auf!“
Über den Thieme Management Award
Bereits seit 2004 wird die Auszeichnung zum „Manager*in des Jahres“ vergeben. Thieme – ein Verbund aus Wissenschaftsverlagen, Medien- und Dienstleistungsunternehmen –würdigt damit Persönlichkeiten, die auf ihrem Gebiet Ungewöhnliches leisten und sich durch besonderes Wirken auszeichnen. Für junge Führungskräfte, die eine außergewöhnliche Karriere vorweisen können, wird seit 2017 der Preis „Senkrechtstarter*in“ vergeben. Beide Kategorien sind unter dem Namen „Thieme Management Award“ zusammengefasst. Die achtköpfige Jury setzt sich aus den Herausgebern der Thieme Fachzeitschrift „kma“, Vertretern der Thieme Gruppe und einem Vertreter des „cdgw – Club der Gesundheitswirtschaft“ zusammen. Unter www.kma-online.de/lp/awards/ werden die Jury-Mitglieder im Einzelnen vorgestellt. Interessierte finden hier in Kürze außerdem Berichte und Bilder zur Gala. Die Porträts der Preisträger*innen werden in der kommenden Ausgabe der „kma“ (1/2025) veröffentlicht, die am 20. Februar 2025 erscheint.
Link zur Pressemeldung von Thieme, und Link zum ausführlichen Porträt der Preisträgerin Nora Schorscher.
Text: KL / Wissenschaftskommunikation
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